Straßenprojekt

Lobau-Tunnel: "Gewessler setzt sich über Gesetz hinweg"

Leonore Gewessler
Leonore GewesslerJana Madzigon
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Dem Verfassungsjuristen Heinz Mayer zufolge, der zum umstrittenen Lobau-Tunnel ein neues Gutachten verfasst hat, könnte der Klimaschutzministerin eine Ministeranklage drohen. Denn sie habe rechtswidrig gehandelt.

Polizeischutz vor dem Haus der Wiener Wirtschaft gibt es nicht alle Tage. Offenbar schon, wenn es um den umstrittenen Lobau-Tunnel geht. Zu groß die Sorge, dass Klimaaktivisten die Pressekonferenz von Walter Ruck stören könnten. Denn der Wiener Wirtschaftskammerpräsident rückte am Mittwoch aus, um wieder einmal auf die Umsetzung des gestoppten Straßenprojekts zu pochen. Schützenhilfe bekam er vom Verfassungsjuristen Heinz Mayer und dem Gesellschaftsrechtsexperten Jörg Zehetner, die in zwei Gutachten dem Vorgehen Leonore Gewesslers Rechtswidrigkeit bescheinigten.

Kurzer Rückblick: Die grüne Klimaschutzministerin hatte den Bau des S1-Lückenschluss inklusive Tunnel unter Donau und Nationalpark im Juli letzten Jahres gestoppt und in Folge anhand von Klimaschutzkriterien evaluieren lassen. Im Dezember sagte Gewessler das riesige Straßenprojekt ab, zwei Wochen später beschloss der Aufsichtsrat der Asfinag das neue Bau-Programm - der Tunnel fand sich darin nicht mehr.

Rechtsstaat nur dann, wenn er passt?

Mit dieser Entscheidung der Klimaschutzministerin sei eine Ministeranklage gegen Gewessler vor dem Verfassungsgerichtshof möglich, urteilte Mayer in seinem Gutachten. „Gewessler setzt sich über das Gesetz hinweg“, indem sie den Tunnel abgesagt habe, sagte dieser. Denn im Bundesstraßengesetz sei die S1 enthalten, „und diese Straßen sind zu bauen, das ist eine Aufgabe des Bundes.“ Kein Exekutivorgan, auch keine Ministerin, habe darüber zu entscheiden, ob die Straßen vielleicht doch nicht kommen sollen. „Wenn einem das nicht passt, muss man das Gesetz ändern“, sagte Mayer. Dies könne jedoch nur der Nationalrat. „Politiker berufen sich gerne auf den Rechtsstaat, solange er ihnen passt. Wenn nicht, vergessen sie ihn.“ Gewessler sei offenbar nicht besser, ging Mayer hart ins Gericht.

Doch bereits die Anweisung Gewesslers an die Asfinag für einen Baustopp sei rechtswidrig gewesen, sagte Rechtsanwalt Zehetner. Einer Aktiengesellschaft, wie die Asfinag eine ist, könne man keine Weisung erteilen, wiederholte Zehetner das bereits mehrfach ins Treffen geführte Argument, die Asfinag sei „weisungsfrei“. Darüber, ob es sich bei dem Brief von Herbert Kasser an den Vorstand der Asfinag, in dem der Generalsekretär im Umweltministerium den Baustopp für den Lobau-Tunnel erwirkte, tatsächlich um eine Weisung handelt, wird schon seit letzten Sommer gestritten. „Sollte belegt werden, dass eine solche Weisung ergangen ist, hätte das eine Ministeranklage und in weiterer Folge auch zivil- und strafrechtliche Folgen“, so der Verfassungsexperte Mayer.

Warten auf das Finanzministerium

Neben der rechtlichen Grundlage fehle außerdem das Einvernehmen mit dem Finanzministerium (BMF), das bisher noch ausstehe, sagte Zehetner. Erst dann könne das neue Bau-Programm der Asfinag gültig werden. Sollte das BMF zustimmen, sei im nächsten Schritt der Asfinag-Vorstand am Zug, sind sich die Rechtsexperten einig. Sollte es jedoch zu keinem Einvernehmen kommen, müsste nach Meinung von Zehetner dagegen das alte Bau-Programm umgesetzt werden.

Fest stehe jedenfalls, dass bereits beträchtliche Schäden durch den Baustopp entstanden seien. Auf die Asfinag würden Wertberechtigungen von über 70 Millionen Euro zukommen, sagte Zehetner. 180 Millionen Euro seien bereits ausgegeben worden, bei einer Nicht-Errichtung der Straße entginge der Volkswirtschaft „12,6 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren und 17.600 Arbeitsplätze", rechnete Ruck vor.

Erneute Klage nicht wahrscheinlich

„Und was ist mit dem Klimaschutz?" Tatsächlich, eine Klimaaktivistin der Bewegung „Lobau bleibt“ hatte es an den Polizisten vorbei in den Saal geschafft. Ob wirtschaftliche Interessen oder Klimaschutz - darum gehe es gar nicht mehr, antwortete Ruck, sondern nur noch um die Frage, ob sich ein Mitglied der Exekutive über höchstgerichtliche Urteile hinwegsetzen könne. Weitere Schritte plane die Wirtschaftskammer jedenfalls nicht, nun sei es am Nationalrat zu entscheiden, ob ein Misstrauensantrag oder eine Ministeranklage eingereicht wird. Sehr wahrscheinlich sei jedoch weder das eine noch das andere, räumte Mayer sogleich ein. Schließlich braucht es für beides eine Mehrheit im Nationalrat.

Im Klimaschutzministerium gab man sich gegenüber der „Presse" gelassen. Man habe die Aufgabe mit der Asfinag jährlich ein Bauprogramm für die nächsten sechs Jahren abzustimmen. „Genau das haben wir auch beim aktuellen Bauprogramm auf Basis der Evaluierung getan“, hieß es aus dem Ministerium. Dafür habe man „umfassende Gutachten eingeholt, die bestätigen, dass diese Vorgehensweise rechtskonform ist.“

Zudem war die FPÖ bereits im Februar mit dem Antrag auf eine Ministeranklage gegen Gewessler gescheitert - sowohl die Koalitionspartner ÖVP und Grüne als auch SPÖ und Neos stimmten dagegen. Und das, obwohl sich die SPÖ, zumindest die Wiener Fraktion, zu den vehementesten Verfechtern des Tunnels zählt. Bürgermeister Ludwig sah sich durch die neuen Rechtsgutachten bestätigt, wie er am Mittwoch hervorhob. Das Klimaministerium will mit Wien und Niederösterreich jedenfalls „bessere Alternativen“ zum Lobau-Tunnel planen. Einladungen an die Bundesländer seien bereits hinausgegangen.

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