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Ein Nato-Reiseschauspieler

Fake oder Wahrheit?  War ich wirklich je beim Wasserfall Gullfoss – und bewegte sich das isländische Wasser?
Fake oder Wahrheit? War ich wirklich je beim Wasserfall Gullfoss – und bewegte sich das isländische Wasser? Amanshauser
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Ein kälterer Blick auf die Reisewelt: Die Macht der Bilder und die billigen Argumente von Trollarmeen.

Ich tu mir plötzlich schwer mit Fotos. Ich blättere oft in Zeitungen, scrolle dauernd im Internet. Ob mir nun Bilder von einem Infintiypool in Singapur, den Hügeln in Valparaíso oder einer Osloer Modeschau unterkommen, momentan suche ich den Hintergrund unwill­kürlich nach Leichen ab, oder nach Tüchern, die jemand über solche gebreitet hat. Im Frühling 2022 entwickelte sich ein neuer, kälterer Blick auf eine hässlichere Reisewelt, angekränkelt von der Unästhetik des Kriegs.

Professionelle Netz-Zombies reden die zivilen ukrainischen Opfer gerade klein oder reden sie weg – einige dieser Trolle stehen im Sold der russischen Desinformation, andere, politisch meist sehr links oder rechts, weilen und kommentieren unter uns Lebendigen. Sie praktizieren, was Hannah Arendt „die Haltung, mit Tatsachen so umzugehen, als wären es bloße Meinungen“, nannte. Da schwappt eine schmutzige Suppe durch die sozialen Medien: „Die Leichen wurden inszeniert, die Leichen auf den Videos bewegen sich, die ­Leichen liegen in viel zu regelmäßigen Abständen, die Leichen sind Selbstmörder, sind US-Schauspieler, sind ein Hoax radikaler Gruppen, die Leichen waren bereits tot, an jener Stelle lagen seit dem Zweiten Weltkrieg Leichen, die Leichen sind eine Provokation der Nato, die Leichenaufnahmen amerikanischer Satelliten sind gefälscht, die Leichen sollten längst stärker verwest sein, die Leichen wirken zu frisch, sie sind an der Impfung gestorben, hatten Vorerkrankungen oder Übergewicht, es gibt keine oder kaum Leichen, höchstens ganz wenige, kleine, jeder Krieg ist grausam, die Wahrheit auf beiden ­Seiten das erste Opfer.


Erklär mir, wieso die Leichen auf ­diesem Foto . . .! Beweis mir, dass die Leichen auf dem Video . . .! Erklär! Beweis! . . . Man muss skeptisch bleiben, alles hinterfragen, selbst nachdenken!“
Man fragt sich nur, ob sie wissen, wie dieses Nachdenken geht. Vielleicht sind ja die Flüchtlinge auf unseren Bahn­höfen ebenfalls Schauspielerinnen. ­Vermutlich bin ich selbst nur Nato-Reiseschauspieler, bin nie wohin gereist, hinterfragen Sie bitte auch mich, meine Geschichten und Bilder!

("Die Presse Schaufenster" vom 15.04.2022)

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