Morgenglosse

Und wieder einmal springt die Zivilgesellschaft ein

Ein für den Frieden werbendes Transparent am Wiener Stephansdom.
Ein für den Frieden werbendes Transparent am Wiener Stephansdom.APA/HELMUT FOHRINGER
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Die Politik beschwört angesichts des Kriegs in der Ukraine die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung, leistet aber selbst nicht ihren Teil.

Als sie die Kriegsbilder im Fernsehen gesehen hat, war Ilse R. klar, dass sie helfen will. Als Russischsprechende meldet sie sich freiwillig, kurz darauf hat sie ihren ersten Dienst als Dolmetscherin am Hauptbahnhof. Doch sie will noch mehr tun: R. wohnt in einem Haus in Mödling, es gibt ein Gästezimmer mit Bad. Hier haben schon 2015 Flüchtlinge eine Unterkunft gefunden, warum also nicht jetzt wieder?

R. meldet sich bei der Caritas, wird weitergeleitet an die neue Bundesbetreuungsagentur BBU - und dann wartet sie. Eine Woche, zwei Wochen. Niemand meldet sich. Fast sechs Wochen vergehen, dann verliert R. die Geduld. Angesichts der Dutzenden Familien, die sie Woche für Woche vom Bahnhof in die Wiener Massenquartiere weiterschleust. „Bei meinem letzten Einsatz habe ich einfach eine Flüchtlingsfamilie mitgenommen." Eine Mutter mit Kind aus Mariupol, seit 23 Tagen auf der Flucht.

Am Mittwoch hatte das Mädchen ihren ersten Schultag. Am selben Tag bekommt R. ein E-Mail von der Caritas. Über die BBU habe man R.s Angebot erhalten, man bitte aber noch um ein wenig Geduld, derzeit sei man dabei, Tausende Quartiergeber durchzurufen. R. winkt ab, ihr Zimmer ist vergeben. Ein paar empörte Worte über die Unfähigkeit der österreichischen Bürokratie kann sie sich aber nicht verkneifen.

Hat sie recht? Sind Österreichs Behörden zu unfähig, zu behäbig, um diese Krise zu bewältigen? Fest steht, dass R. nicht die Einzige ist, die auf bürokratische Hürden stößt. Und das, während Politiker aller Couleurs an die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung appellieren und beschwören, wie notwendig eine gemeinsame Kraftanstrengung ist, um diese Herausforderung  zu bewältigen. Schließlich stehe man vor der größten Flüchtlingsbewegung seit 1945.

Denkt man an die kursierenden Horrorgeschichten von Zuhältern, die an Bahnhöfen gezielt auf die Jagd nach Frauen und Kindern gehen, macht eine staatliche Vermittlung von Quartieren, wie es die Aufgabe der BBU ist, umso mehr Sinn. Aber das muss doch schneller gehen. Die Hilfe muss auch ankommen können. Sonst riskiert man eine frustrierte Zivilgesellschaft, die irgendwann vielleicht nicht mehr einspringt, wenn der Staat versagt.

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