Zu Besuch bei den Schmucktüftlern von Pforzheim

Von Goldstäben in Walzen, gewickeltem Golddraht und magischen Würfeln: Der Grundstein der „Goldstadt“ Pforzheim wurde 1767 gelegt.

Für alle Pforzheimerinnen und Pforzheimer ist die Angelegenheit sonnenklar: Dass das weltweit einzige ausschließlich dem Schmuck gewidmete Museum hier, immerhin in der „Goldstadt“, zu finden ist, liegt auf der Hand. Nur ein ortsferner Besucher wagt leise zu fragen, wie es denn zu dieser edelmetallenen Bezeichnung gekommen sei, ja ob weiland eventuell gar namhafte Goldfunde in der Nähe zu verzeichnen waren?

Mitnichten, weiß die Museumsmitarbeiterin, die durch die historische Sammlung führt. Die Bedeutung von Pforzheim in der Schmuck- und Uhrenindustrie geht zurück auf einen Erlass des Markgrafen Karl Friedrich von Baden, der 1767 zuließ, dass das Waisenhaus der Stadt zur Ausbildungsstätte für Uhrmacher, und später auch Goldschmiede, ausgebaut wurde: „Ganz nebenbei wurde so übrigens die Gründung der ersten Berufsschule überhaupt vorgenommen“, ergänzt die Führerin des Schmuckmuseums nicht ohne Stolz.

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Dass die Kurstadt Baden-Baden unweit gelegen ist, wo sich in jener Ära der europäische Hochadel die in Thermalwasser getränkten Handtücher weiterreichte, kam der knospenden Luxusbranche zugute: Die Pforzheimer Goldschmiede stellten sich vor Ort ein und unterbreiteten der potenziellen Klientel ihre kostbaren Geschmeide.

Seidenweich auf der Haut

Einer von ihnen war Ernst Alexander Wellendorff, der mehr als ein Jahrhundert nach dem branchenrelevanten Edikt, nämlich 1893, in Pforzheim seine eigene Manufaktur gründete. Wellendorffs erste Entwürfe waren – ganz dem historistischen Zeitgeist geschuldet – teils als Reverenz an vergangene Epochen angelegt, teils ästhetisches Kind der Jahrhundertwende.

Damit legte er den Grundstein für ein Familienunternehmen, das heute noch besteht und sich dank einer sehr spezifischen Positionierung in den letzten Jahren – und in einem sehr dicht besiedelten Segment der Luxusbranche – seine Eigenständigkeit bewahren konnte.

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Besucherinnen und Besucher, die Zutritt zum Wellendorff-Firmensitz erhalten, können in einem Ausstellungsraum zum Thema „Wahre Werte“ im Zeitraffer die Geschichte der Marke Revue passieren lassen. Zu den aus heutiger Sicht relevantesten Kapiteln zählt etwa die Entscheidung von Hanspeter Wellendorff, die Diskretion der bloßen Goldschmiedepunze hinter sich zu lassen und Wellendorff auch als Handelsmarke zu etablieren – für Kundinnen und Kunden durch das allgegenwärtige „W“ mit Brillantmitte gut zu erkennen.

Dieser selbstbewusste Schritt eines Goldschmieds, sich direkt an die Klientel zu wenden und die Rolle der Juweliere zu übernehmen, stieß Ende der Sechzigerjahre auf Skepsis, erwies sich aber als goldrichtig und sicherte dem Unternehmen später den Fortbestand.
Ebenfalls Hanspeter Wellendorff war es, der in den Folgejahren ein Schmuckstück fertigte, das bis heute zu den bekanntesten Angeboten der Marke zählt: „Seine Frau Eva wünschte sich eine Kette, die seidenweich auf der Haut liegen sollte, wie eine textile Kordel“, erzählt Unternehmenssprecherin Claudia Wellendorff, Teil der vierten Generation. Nach viel Tüfteln und Ausprobieren gelang es 1977 schließlich, die heute legendäre Kordel auf den Markt – und an die Dekolletés – zu bringen.

Dem Genius loci entsprechen

In den eigenen Werkstätten zeigen die Goldschmiede gern vor, wie sie aus einem 2,5 kg schweren Goldstab durch geduldiges Walzen und Materialstress verringerndes Glühen einen 2,5 km langen Golddraht mit 0,3 mm Durchmesser machen, der zu einem Strang gewickelt und später zu Kordeln weitergedreht wird. Dass dabei die Elastizität des Materials gewahrt wird, verdankt sich einer geheimnisvollen „Seele“ im Material, die als wohlgehütetes Firmengeheimnis ihren Charakter nicht offenbart.

Brigida Gonzalez.

Auch die vierte Wellendorff-Generation kann auf familieneigenes Goldschmiedewissen zählen, und auch hier werden Innovation und Experimentiergeist großgeschrieben. Seit den 1990er-Jahren perfektioniert man etwa die Fertigung von Drehringen in farbenfroher Kaltemaille-Ausführung – auch dies eine Meisterleistung von Handwerk mit Ingenieursambitionen (die Autostadt Stuttgart ist freilich nicht fern).

Noch in den letzten Jahren konnte ein neues Patent angemeldet werden, nämlich für „federndes Gold“, das zu einem sich abenteuerlich um das Handgelenk windenden Armreif verarbeitet wird. Ein besonders kostbares Stück, und damit schließt sich der Kreis zurück zum Schmuckmuseum der Stadt, wurde von einem Freund und guten Kunden als Dauerleihgabe für dessen historische Sammlung übergeben: „Er fand die Vorstellung traurig, dass dieses Einzelstück künftig den Augen der Öffentlichkeit entzogen sein sollte“, erklärt Claudia Wellendorff.

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Anders als Luxusmarken im Schmuckbereich, die an der Pariser Place Vendôme oder im Centro storico von Rom ansässig sind, hat sich das Pforzheimer Familienunternehmen im Lauf seiner 120-jährigen Firmengeschichte zwangsläufig – und vielleicht intuitiv – auf eine andere Art von Storytelling verlegt als diese Mitbewerber: Aus dem Genius loci der Goldstadt mit ihrem Fokus auf das Goldschmiedehandwerk leitet man das Charakteristikum ab, unablässig über technischen Neuerungen zu brüten – und diese in eine ständig weiterentwickelte, permanente Kollektion einzuarbeiten. „Einer unserer Partner nannte uns die Technologen der Branche“, erwähnt Claudia Wellendorff. Damit hat dieser Wortspender den Nagel wohl auf den Kopf getroffen. 

Compliance-Hinweis: Der Autor reiste auf Einladung von Wellendorff nach Pforzheim.

("Die Presse Schaufenster" vom 22.4.2022)

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