Chemie

Grüne Tenside: Abfall der Papierindustrie kann Erdöl ersetzen

Katalin Barta Weissert und Markus Hochegger entwickeln an der Universität Graz „grüne“ Tenside aus Lignin.
Katalin Barta Weissert und Markus Hochegger entwickeln an der Universität Graz „grüne“ Tenside aus Lignin.(c) Uni Graz/Tzivanopoulos
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In zahlreichen Produkten des täglichen Lebens finden sich Bindungsmittel aus Erdöl. Die Kommission der Europäischen Union fördert nun ein von einem Forschungsteam der Universität Graz entwickeltes Verfahren, das auf natürlich anfallende Abfallstoffe setzt.

Tenside befinden sich in einer Vielzahl an Artikeln, in Seifen, Waschmitteln, Shampoos, Lackmischungen, aber auch in der Lebensmittelindustrie und in Impfstoffen. Es handelt sich dabei um Substanzen, die die Oberflächenspannung einer Flüssigkeit herabsetzen und so ein Vermischen von zwei sonst nicht mischbaren Flüssigkeiten bewirken. So können sie zum Beispiel mit etwas Wasser Fett- und Schmutzverunreinigungen leicht lösen. „Tenside benötigt man für zahlreiche Applikationen in der chemischen Industrie und im Alltag“, erklärt die Chemikerin Katalin Barta Weissert von der Universität Graz.

Synthetische Tenside werden aus Erdöl erzeugt, und gerade deswegen prüft man alternative Herstellungsvarianten. An der Uni Graz ist dazu das Projekt „Grüne Tenside“ angelaufen. Barta Weissert und ihrem Team vom Institut für Chemie wurde für ihr Forschungsvorhaben Anfang dieses Jahres eine EU-Förderung in der Höhe von 2,5 Millionen Euro zugesprochen.

„Grüne Chemie“ bedeutet die Entwicklung von umweltfreundlichen Lösungen. Im Fall der Tenside hat man in Graz mit Lignin eine Alternative gefunden, mit der neuartige Tenside hergestellt werden. Lignin fällt als Abfallprodukt der Papierindustrie an. Während Zellulose für das Papier genutzt wird, wird das für die Holzstabilität maßgebliche Lignin als Restprodukt verbrannt. Bei der Papierherstellung fallen weltweit, so eine Statistik, pro Jahr bis zu 70 Millionen Tonnen an.

Lignin, Altöle und Fette werden erprobt

Die Holzverwertung ist gerade in der Steiermark ein bedeutender Industriezweig. Das Grazer Forschungsteam weitet jetzt seine Untersuchungen noch aus. Neben Lignin werden auch weitere Abfallprodukte wie Altöle und Fette aus der Lebensmittelindustrie und Landwirtschaft für den Einsatz als grüne Tenside erprobt.

Das Grazer Chemieinstitut hat sich der ressourcenschonenden und umweltfreundlichen Chemieforschung verschrieben – mit einem Fokus auf nachhaltigen Methoden, nachwachsenden Rohstoffen und umweltverträglichen Verfahren. Als die gebürtige Slowakin Katalin Barta Weissert Anfang 2020 hier eine Professur annahm, brachte sie einen mit 1,5 Millionen Euro dotierten ERC Grant der EU-Kommission von ihrer bisherigen Universität Groningen (Niederlande) mit. Damals konzentrierte sich ihre Forschung auf die Ressource Holz und die Katalyse von Biomasse.

Während der ERC Grant auf die Grundlagenforschung ausgerichtet ist, zielt die neue Förderung des „EIC Transition“, den Barta Weissert und ihr Kollege Markus Hochegger heuer eingeworben haben, auf das Vorantreiben der Marktreife ab. Die Europäische Kommission vergibt 2022 über diese Förderschiene insgesamt 131,6 Millionen Euro an Projekte, mit denen „bahnbrechende Technologien aus dem Labor“ umgesetzt werden sollen.

Im Fall der grünen Tenside erfolgt der nächste Schritt über den „Unicorn“, der im April 2021 vom damaligen Rektor und heutigen Wissenschaftsminister, Martin Polaschek,auf dem Grazer Uni-Campus als Start-up- und Innovationszentrum eröffnet wurde. In der Nonprofit-Gründung vernetzen sich Wissenschaft und Wirtschaft, sie ist zugleich Anlaufstelle für Studierende, Forschende und Unternehmen. Unter dem Titel Pure Surf soll hier auch ein Start-up gegründet werden. Dort will man die Tensideforschung für eine Anwendung in der Wirtschaft weiterentwickeln und die kommerzielle Anwendung beschleunigen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2022)

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