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„The Northman“: Sie schlagen sich die Schädel ein, voller Poesie

Wenn gerade nicht das Blut spritzt, reiten schöne Menschen durch schöne Landschaft: Alexander Skarsgård als Amleth und Anya Taylor-Joy als Olga.
Wenn gerade nicht das Blut spritzt, reiten schöne Menschen durch schöne Landschaft: Alexander Skarsgård als Amleth und Anya Taylor-Joy als Olga.(c) Focus Features
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Action, umrankt von Gesängen und berauschenden Ritualen: Mit dem Wikinger-Epos „The Northman“ ist Robert Eggers ein brachiales Schmuckstück gelungen. Die zugrunde liegende Sage hat schon Shakespeare zum Hamlet inspiriert.

Halbnackte Männerkörper leuchten dunkelorange im Flammenschein. Frauen und Kinder liegen auf dem Boden, tot oder gerade noch nicht. Überall ein Geschrei und Gebrüll, aber auch ein Flehen und Wimmern und Jammern. Scharfer Stahl trifft auf weiche Körper, bis Köpfe rollen und dampfende Eingeweide aus geöffneten Bauchdecken auf den dreckigen Boden klatschen. Man könnte sich in „Conan, der Barbar“ wähnen, wären da nicht die poetischen Einschübe, all die Gesänge und Rituale, die Regisseur Robert Eggers hineinverwoben hat in seine episch angelegte Wikinger-Fantasie „The Northman“.

Dieser Filmemacher versteht es aktuell wie kaum ein anderer, bis ins kleinste Detail recherchierte Darstellungen einer historischen Epoche anzureichern mit damaligen Mythen und Legenden. In seinem Spielfilm-Debüt „The Witch“ (2015) wird das Neuengland des 17. Jahrhunderts zum Schau- und Richtplatz einer jungen Frau, die der Hexerei verdächtigt wird. „Der Leuchtturm“ (2019) erzählt von zwei in einem solchen Isolierten im Maine des 19. Jahrhunderts. Sie werden von Wahnvorstellungen und Horrorvisionen aus dem Geist von Edgar Allen Poe und H. P. Lovecraft geplagt.

Mehr Budget, breiteres Publikum

„The Northman“ ist Eggers' bis dato ambitioniertestes Projekt, finanziert mit dem zehnfachen Budget seines Erstlings und ausgerichtet auf deutlich breitere Publikumsschichten als seine störrischen, monomanischen Vorgänger. Die Sage von Amletus, die dem Plot zugrunde liegt, war auch die Vorlage Shakespeares für seinen Hamlet.

Im Zentrum steht Amleth (gewaltig, gestählt: Alexander Skarsgård), der als Kind mitansehen musste, wie sein Königsvater Aurvandil (in einer feinen Gastrolle: Ethan Hawke) von dessen Halbbruder Fjölnir (Claes Bang) hinterhältig ermordet wurde. Während Mutter Gudrún (unterbeschäftigt, aber mit immerhin einem großartigen Moment: Nicole Kidman) vom Usurpator eingefangen wurde, ist dem Buben die Flucht gelungen. Jahre später zieht er mit einer Wikingerbande marodierend durch Osteuropa, sinnt aber hauptsächlich auf Rache, die ihm von einer (natürlich) blinden Seherin (herrlich delirierend: Björk) als Schicksalsweg prophezeit wird. Amleth erfährt, dass Fjölnir selbst vom Thron vertrieben wurde und nach Island exiliert ist. Er lässt er sich von dessen Männern gefangen nehmen und als Sklave zu seinem Ziel bringen.

Robert Eggers verfasste das Drehbuch gemeinsam mit dem isländischen Poeten Sjón Sigurđsson. Es prescht, genretypisch für ein Racheepos, bestimmt nach vorn, verfängt sich aber zum Glück auch in lyrischen Momenten. Dann liefern Figuren wie eine männliche Hexe in „Edda“-gleichen Versen naturmächtigen, mythisch aufgeladenen Unter- und Hintergrund für die simple Erzählung. Oder berauschende Rituale reißen den Blut-und-Boden-Primitivismus auf und erweitern ihn in Richtung Spiritualität und (Aber-)Glauben. All das wird unterstützt von evokativen, bisweilen ins Surrealistische stürzenden Bildern von Eggers' hochtalentiertem Stamm-Kameramann Jarin Blaschke und der Filmmusik der Briten Robin Carolan und Sebastian Gainsborough.

Ergötzlicher Detailreichtum

Sie binden für heutige Ohren eigentümlich klingende Instrumente, wie die Talharpa-Leier, das isländische Langspil und die schwedische Sackpfeife, nebst Kehlkopf-Gesang in eine streng rhythmisierte Komposition ein, die aber insgesamt angenehm klassisch ist. Der Regisseur selbst hat augenscheinlich große Freude mit dem höheren Budget. Es erlaubt ihm bei Ausstattung und Kulissen dieser historischen Welt des 10. Jahrhunderts einen ergötzlichen Detailreichtum. Dazu kommen tollste Naturbilder und ein ausbrechender Vulkan, an dessen Fuß die beiden Kontrahenten zum Holmgang antreten, einem unter anderem bei Wikingern üblichen Duell zur Konfliktlösung: Zwei Silhouetten, nackt zwischen Lavaströmen, umgeben von höllenrotem Licht und rußiger Luft, die ihre Schwerter kreuzen und sich ihrem Schicksal ergeben.

Ganz am Ende ist „The Northman“ ganz bei sich selbst. Da findet Eggers schönste Poesie in absoluter Action, eine Fusion, die ihm im Rest des Films nur bisweilen gelingt. Dennoch: Neben Nicolas Winding Refns unübertroffenem „Valhalla Rising“ wird dieses brachiale Schmuckstück noch für lange Zeit zu den besten Wikingerfilmen überhaupt zu zählen sein. Bei Odin!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2022)

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