Kriegsziele

Will Moskau bis nach Transnistrien?

Ein russischer Soldat wacht über die Ruinen auf dem Areal des Asow-Stahlwerks in Mariupol. Im Inneren halten sich noch mehr als 2000 ukrainische Kämpfer verschanzt.
Ein russischer Soldat wacht über die Ruinen auf dem Areal des Asow-Stahlwerks in Mariupol. Im Inneren halten sich noch mehr als 2000 ukrainische Kämpfer verschanzt. (c) REUTERS (CHINGIS KONDAROV)
  • Drucken

Während Satellitenbilder eines möglichen Massengrabs um die Welt gehen, legt ein General seine Pläne offen.

Kiew/Wien. Auf den Satellitenbildern ist Mitte März noch nichts zu sehen. Ende des Monats ändert sich das. Die ersten dunklen Punkte reihen sich aneinander parallel zu einer Hauptstraße und in der Nähe des Friedhofs. Die Vermutung: Die Punkte sind Aushebungen, also Teil eines Massengrabs. April: Der Streifen wächst. Er wird länger und breiter. Knapp 300 Aushebungen zählt die „Washington Post“. Das mutmaßliche Massengrab wurde in Manhusch ausgehoben, einem Ort, den keine 20 Kilometer von den Ruinen Mariupols trennen.

Der Bürgermeister Mariupols, Wadyam Bojtschenko, behauptet, dass in Manhusch 9000 Leichen verscharrt wurden. Russische Soldaten hätten tote Zivilisten in Mariupol auf Lastwagen nach Manhusch gekarrt. Belegen lässt sich das nicht. Der Bürgermeister ist nicht mehr vor Ort. Manhusch ist unter russischer Kontrolle. So wie der Großteil Mariupols.

Die Hafengroßstadt liegt auf einem Landkorridor, der die annektierte Krim mit Russland verbinden würde. Aber Moskaus Kriegsziele könnten weiterhin über die Errichtung einer solchen Landverbindung hinausgehen.

Am Freitag überraschte Rustam Minnekajew die Weltöffentlichkeit. Er ist stellvertretender Kommandant des zentralen Militärbezirks Russlands. In seltener Freimütigkeit buchstabierte er die vermeintlichen Ziele der „zweiten Phase“ dieses Kriegs aus. Dazu zählt nach seinen Angaben nicht nur die vollständige Kontrolle über den Donbass, sondern auch über die Südukraine. Es soll eine „Landverbindung“ zur Krim geben. Aber offenbar auch eine bis nach Transnistrien, das eine abtrünnige Provinz der Republik Moldau ist. Minnekajew klagte, dass die russischsprachigen Bewohner Transnistriens schikaniert würden. Den Vorwurf gebrauchte Moskau gern als Vorwand. In Minnekajews Szenario würde die Ukraine zum Binnenstaat schrumpfen und jeden Meerzugang verlieren.

Die Regierung in Kiew stürzte sich auf seine Aussagen. Russland, so der Tenor, lasse die Maske fallen. Es lege endlich seine imperialistischen Absichten offen, anstatt über irgendwelche mythischen Nazis zu fabulieren. Am Freitag war offen, ob der General die offizielle Position Moskaus wiedergegeben hatte. Aber selbst wenn: Um die gesamte Südukraine zu erobern, müsste Russland entlang der Küste noch viele Dutzend Kilometer weiter Richtung Westen vorstoßen. Auf dem Weg läge Odessa, die drittgrößte Stadt der Ukraine, Heimat des wichtigsten Hafens des Landes.

Und zwischen Wunsch und Wirklichkeit klaffte schon bisher eine Lücke. Aus dem raschen Sturz der Regierung in Kiew wurde nichts. Und zu Beginn der zweiten Phase kommen die russischen Truppen nur schwer voran. Um die Kleinstadt Popasna zum Beispiel wird seit Februar gekämpft, aber Russland konnte sie noch immer nicht vollständig erobern.

Heftiger Widerstand im Osten

Der Westen schiebt unterdessen immer mehr Waffen nach. Die USA schicken schweres Gerät und auch Kamikaze-Drohnen namens Phoenix Ghost. Auch Frankreich räumte erstmals die Lieferung von Artillerie ein. Und Slowenien soll sowjetische T-72-Kampfpanzer liefern und dafür Ersatz aus Deutschland erhalten: ein Ringtausch also.

Im Donbass treffen russische Truppen auf die stärksten Einheiten der ukrainischen Armee. Rund 80.000 Mann sollen die Region gegen die Invasoren verteidigen. Die Soldaten sind an Krieg gewöhnt, schließlich gibt es im Donbass seit acht Jahren keinen Frieden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2022)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.