Glaubensfrage

Katholische Kirche: Die Zeit ist überreif

APA/ROLAND SCHLAGER
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Zeit zum Reifen benötigen alle: Pflanzen, Früchte, Weine, Menschen und Ideen. In der katholischen Kirche ist die Zeit mittlerweile überreif – für Entscheidungen und Taten.

Denk dich neu. Nein, nein, das ist keine distanz-, respektlose Aufforderung an die vielen, vielen Userinnen und Leser dieses Texts. Keine Sorge, diese Formulierung hat einen anderen Absender und Empfänger. Der Appell kommt von der katholischen Kirche. In ihrer ersten großen gesamtösterreichischen Kraftanstrengung nach zwei Jahren der Lähmung durch die Pandemie wendet sie sich Jugendlichen zu. Die 18- bis 25-Jährigen sollen mit allerlei Aktionen bekehrt, äh angesprochen werden.

Manche Teile dieser Aktion sind naheliegend bis überfällig wie ein eigener Instagram-Auftritt (huch!) oder die Möglichkeit zum Life-Chat. Von anderem weiß man noch nicht allzu viel, wie einem angekündigten Escape Room im Turm des Linzer Mariendoms. Diese Attraktion soll von Bischof Manfred Scheuer persönlich dann in wenigen Tagen am Freitag vorgestellt werden. Insgesamt ja durchaus ein interessantes Unterfangen.

Nur warum sind gerade die 18- bis 25-Jährigen als Zielgruppe definiert? Wird doch nicht damit zu tun haben, dass in diesem Alter üblicherweise nach Matura oder abgeschlossenem Studium die ersten Zahlungen des Kirchenbeitrags vorgeschrieben und zugestellt werden! Und dass die Erkenntnis gereift ist, den jungen Erwachsenen in irgendeiner Form spätestens zu diesem Zeitpunkt einen sofort zu lukrierenden Gegenwert anzubieten.

Apropos reifen. Innerkatholisch werden derzeit weltweit so viele Aktivitäten wie schon lang nicht gesetzt, um Ideen zu finden und reifen zu lassen, wie die Kirche weiterentwickelt werden könnte. Papst Franziskus setzt auf einen synodalen Prozess zur Synodalität der Kirche. Übersetzt aus dem schwer vermittelbaren Kirchenjargon heißt das: Der irdische Chef der Katholiken lässt von der Basis unten weg bis nach oben diskutieren und Erfahrungen sammeln, wie Mitsprache und auch Mitentscheidung funktionieren könn(t)en – auch mehr als Rom erlaubt oder sich in seinen schlimmen Träumen vorstellt. In Österreich sammelt die Bischofskonferenz Zwischenberichte, wie die Sache so läuft. Berücksichtigt man, dass eine absolute Mehrheit der Österreicher Katholiken sind, gestalten sich Beteiligung und Interesse daran als das, was man gemeinhin als enden wollend bezeichnet.

Immerhin gibt es speziell in Österreich und Deutschland seit Jahrzehnten – sehr wohlwollend formuliert – einen reichen Erfahrungsschatz, was Gespräche über Neuerungen und Möglichkeiten des Transformierens von Struktur und Sprache der Kirche in die Gegenwart betrifft. Viele Ideen sind gereift. Jetzt müssten dann aber auch einmal Taten folgen.

„Denk dich neu“, lautet das Motto der Aktion der katholischen Kirche, die sich an Jugendliche richtet. Denk dich neu – so könnte, so müsste sich der Auftrag auch an die Kirche selbst richten.

dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2022)

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