Jede fünfte Frau ist Opfer von Gewalt

(c) Erwin Wodicka
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Gerichtsmedizinerin Berzlanovich und Frauenhäuser klagen über fehlende Sensibilität bei Ärzten. Eine Ausstellung und ein neuer Leitfaden unter dem Motto "von der Obduktion zur Prävention" sollen das nun ändern.

Wien. Es ist bezeichnend, dass sich ausgerechnet eine Gerichtsmedizinerin gegen Gewalt an Frauen einsetzt. „Ich will vermeiden, dass diese gepeinigten Frauen am Seziertisch landen“, sagt Andrea Berzlanovich von der Gerichtsmedizinischen Abteilung der Medizinischen Universität Wien. Deshalb kämpft sie unter dem Motto „von der Obduktion zur Prävention“ für eine Enttabuisierung des Themas.

Die Medizinerin bemängelt ein fehlendes Bewusstsein vonseiten der Ärzteschaft. Während Pflegepersonal und Polizisten recht engagiert sind und auch immer wieder bei ihren Vorträgen zum Thema erscheinen, sei die Ärzteschaft eher schwierig zu erreichen. „Natürlich gibt es Ausnahmen, aber die Ärzteschaft fühlt sich für Gewaltopfer nicht zuständig. Viele wissen nicht damit umzugehen.“

Da aber gerade medizinisches Personal meist Erstkontakt zu Gewaltopfern hat und ihnen dadurch eine Schlüsselfunktion zukommt, wurde jetzt ein Leitfaden für Krankenhäuser und medizinische Praxis („Gesundheitliche Versorgung gewaltbetroffener Frauen“) herausgegeben. Der Leitfaden, der mit Unterstützung des Bundesministeriums für Wirtschaft, Familie und Jugend entstand, ist Ergebnis einer Arbeitsgruppe aus mehr als 50 Experten.

Sensibilisierung bei Schulklassen

Dieser wurde am Mittwoch im Rahmen der Ausstellungseröffnung „Hinter der Fassade“ im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder präsentiert. Die Ausstellung, die in einer nachgebauten Familienwohnung das Thema Gewalt in der Familie behandelt, richtet sich – neben der Ärzteschaft – vor allem an Schulklassen. In Österreich wird jede fünfte Frau mindestens einmal im Leben Opfer häuslicher Gewalt. In 70 Prozent der Fälle werden auch Kinder misshandelt.

Die Zahl der von Interventionsstellen und Gewaltschutzzentren betreuten Opfer stieg von knapp 5000 im Jahr 2001 auf 14.000 im Jahr 2009. Wobei das wenig über die Gewalttaten an sich, sondern viel mehr über die Bereitschaft, diese zu melden, aussagt. Der Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser hat im Jahr 2009 insgesamt 3.163 Frauen und Kinder aufgenommen. Nur sechs Prozent der Frauen wurden über Ärzte und Spitäler vermittelt. Der Großteil kam über Bekannte oder Verwandte (17Prozent), weil sie schon einmal im Frauenhaus waren (16), über die Polizei (13) oder Fraueneinrichtungen (10).

Auch die Frauenhäuser wünschen sich mehr Engagement vonseiten der Ärzteschaft im Kampf gegen häusliche Gewalt. „Es gibt leider noch immer Ärzte, die nicht einmal Info-Material auflegen möchten“, sagt Maria Rösslhumer vom Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser. Sie kritisiert, dass das Thema Gewalt in der Familie in der Ausbildung für angehende Mediziner nicht vorkommt, zumindest nicht verpflichtend. „Nur die Polizei hat diese verpflichtende Ausbildung. Da klappt die Zusammenarbeit ganz gut“, so Rösslhumer. Immerhin begegnet Ärzten das Thema Gewalt nicht nur im Rahmen der Erstversorgung, sondern auch bei Schmerzpatienten. „Nach unseren Erfahrungen sind zwischen 35 und 50Prozent der Patientinnen mit chronischen Schmerzen in der Vergangenheit Opfer von Missbrauch, Misshandlungen oder emotionaler Gewalt geworden“, sagt Wilfried Ilias, Vorstand der Schmerztherapie-Abteilung vom Krankenhaus der Barmherzigen Brüder. Deshalb ist ihm die Gewaltprävention ein ganz besonderes Anliegen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2010)

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