Etwa 100 Personen werden in Deutschland als gefährlich eingestuft, 20 von ihnen haben Kampferfahrung. Gefahr droht auch von Schläferzellen - fünf davon sind im Visier der deutschen Sicherheitsbehörden.
Berlin. In Deutschland leben derzeit rund 100 Personen, die im Kontext des islamistischen Terrors als gefährlich eingestuft werden, unter ihnen Deutsche, Eingebürgerte, Ausländer und Konvertiten – diese Zahl wurde gerade erst von Wolfgang Bosbach (CDU), dem Vorsitzenden des Bundestags-Innenausschusses, bestätigt. Etwa 20 von ihnen hätten Kampferfahrung, zum Beispiel in Afghanistan. Islamisten, die bisher unauffällig in Deutschland leben und im Verborgenen Anschläge vorbereiten, könnten nach ihrer „Aktivierung“ zuschlagen. Fünf „Schläferzellen“ im Raum Köln/Bonn und München haben die deutschen Sicherheitsbehörden im Visier.
Junge Islamisten aus ganz Europa werden in Lagern der al-Qaida oder der Taliban in Pakistan zu Kämpfern ausgebildet, knapp über 200 Deutsche sollen in solchen Terrorcamps bereits trainiert haben. Nach Schätzungen des pakistanischen Geheimdienstes ISI halten sich im Moment rund 20 Deutsche in Terrorlagern im pakistanischen Grenzgebiet zu Afghanistan auf.
Von den „Gefährdern“ im Land droht ebenso Gefahr wie von Terroristen, die eigens anreisen – oder das bereits getan haben, um Anschläge zu verüben. „Die Bedrohungen sind leider real“, betonte einmal mehr Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Mittwoch bei der Budgetdebatte im Bundestag, der zurzeit unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen tagt. „Die Beratungen finden heute in einer Umgebung statt, wie wir sie lange nicht hatten.“ Die Politik werde sich aber trotz terroristischer Bedrohung nicht von ihrer Arbeit abbringen lassen.
Vor genau einer Woche hat Innenminister Thomas de Maizière die Öffentlichkeit informiert, dass in Deutschland verstärkte Terrorgefahr herrsche. Allmählich gewöhnen sich die Deutschen an die verschärften Sicherheitsmaßnahmen und leben relativ normal weiter; die Gefahr ist da, wirkt aber irreal. Immer wieder gibt es Alarm und Absperrungen wegen unbeaufsichtigter Gepäckstücke, am Mittwoch wurde in einem Regionalexpress bei Bielefeld eine Bombenattrappe entdeckt.
Paketdienste dichtgemacht
Bundespräsident Christian Wulff warb bei der Bevölkerung um Verständnis für die massiven Sicherheitsvorkehrungen und unterstrich zugleich, Deutschland sei eines der sichersten Länder der Welt.
Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) greift unterdessen nach dem Fund von Luftfrachtbomben aus dem Jemen vor drei Wochen hart gegen Sicherheitsmängel im Frachtbereich durch. Nach der Überprüfung von 70 Unternehmen durch das Luftfahrtbundesamt wurde drei Luftfrachtunternehmen in Nordrhein-Westfalen die Lizenz entzogen, drei weiteren aus Berlin, Hessen und Nordrhein-Westfalen die Neuzulassung verweigert. 20 Firmen erhielten Verwarnungen und strenge Auflagen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2010)