Gezi-Prozess

Türkischer Kulturförderer Kavala zu lebenslanger Haft verurteilt

Demonstration
Demonstration APA/AFP/Afp/OZAN KOSE
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Der Kulturförderer Osman Kavala sitzt seit rund viereinhalb Jahren wegen eines „Umsturzversuchs“ in Untersuchungshaft. Der Europarat und der EGMR orten ein politisches Motiv hinter dem Prozess und hatten seine Freilassung gefordert.

Der prominente Kulturförderer Osman Kavala ist im Zusammenhang mit den regierungskritischen Gezi-Protesten in der Türkei vor neun Jahren zu erschwerter lebenslanger Haft verurteilt worden. Ein Gericht in Istanbul sprach Kavala am Montag des Umsturzversuches schuldig. Schon während der Urteilsverkündung ertönten laute Buhrufe im Gericht. Auch international wurde die Entscheidung vielfach als politisch motiviert kritisiert.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte Kavala in der Vergangenheit öffentlich als Terroristen und die Gezi-Proteste als "Verschwörung" aus dem Ausland bezeichnet. Neben Kavala wurden sieben weitere Angeklagte wegen Beihilfe zum Umsturzversuch zu 18 Jahren Haft verurteilt. Sicherheitskräfte führten sie unter lautem Protest direkt aus dem Verhandlungssaal ab.

Der mittlerweile 64-jährige Kavala saß seit 2017 ohne Urteil im Gefängnis. Neben den Vorwürfen im Zusammenhang mit den Gezi-Protesten 2013 wurden ihm in dem Verfahren auch "politische und militärische Spionage" im Zusammenhang mit dem Putschversuch von 2016 vorgeworfen - von letzterem Vorwurf wurde er aber freigesprochen.

Osman Kavala
Osman Kavalavia REUTERS

Kavala selbst hatte alle Vorwürfe gegen sich stets bestritten und als "politisch motiviert" bezeichnet. Eine Auffassung, mit der er nicht allein ist.

"Dieses Urteil steht in krassem Widerspruch zu den rechtsstaatlichen Standards und internationalen Verpflichtungen, zu denen sich die Türkei als Mitglied des Europarats und EU-Beitrittskandidatin bekennt", sagte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). "Wir erwarten, dass Osman Kavala unverzüglich freigelassen wird - dazu hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Türkei verbindlich verpflichtet."

Die Türkei-Vertreterin der Organisation Human Rights Watch, Emma Sinclair-Webb, nannte das Urteil den "schlimmstmöglichen Ausgang dieses Schauprozesses", "schrecklich, grausam und böse." Die Türkei-Expertin der Organisation Amnesty International in Deutschland, Amke Dietert, forderte, Kavala müsse sofort freigelassen werden.

Der einst selbst als Journalist in der Türkei inhaftierte Präsident der Schriftstellervereinigung PEN Deutschland, Deniz Yücel, sprach von einem politischen Verfahren "frei von Rechtsstaatlichkeit". Kulturstaatsministerin Claudia Roth nannte das Urteil "ungerechtfertigt", Kavala sitze "weiterhin unschuldig hinter Gittern".

Scharfe Kritik

Der Fall hatte der Türkei bereits vor der Entscheidung international scharfe Kritik eingebracht. Dem Land droht deswegen etwa der Ausschluss aus dem Europarat. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte 2019 die Freilassung des Menschenrechtsaktivisten angeordnet und die Haft als politisch motiviert eingestuft. Ende 2021 war ein diplomatischer Eklat entbrannt, nachdem zehn Botschafter in der Türkei - darunter der deutsche - die Freilassung Kavalas gefordert hatten. Präsident Recep Tayyip Erdogan wertete dies als unzulässige Einmischung und drohte den Diplomaten mit Ausweisung.

Kavalas Anwälte kritisierten, ihr Mandant sei in dem ganzen Verfahren nie richtig befragt worden. Kavala selbst monierte, es seien keine Beweise vorgelegt worden, die seine Schuld belegen könnten.

Auslöser der weitestgehend friedlichen Gezi-Proteste 2013 war ein Bauprojekt im Zentrum Istanbuls. Die Aktion weitete sich zu landesweiten Demonstrationen gegen die autoritäre Politik des damaligen Ministerpräsidenten Erdogan aus. Der ließ die Proteste brutal niederschlagen.

Kavala stammt aus einer Unternehmerfamilie und förderte zahlreiche zivilgesellschaftliche Projekte in der Türkei. Er ist Gründer der Organisation Anadolu Kültür. Große Teile seines Vermögens sind konfisziert.

Zum Prozesstag waren zahlreiche Beobachter erschienen, die sich in dem Gerichtssaal drängten - unter ihnen Vertreter von Konsulaten, Menschenrechtsorganisationen und politischen Parteien.

Unterstützer, Menschenrechtler und Oppositionspolitiker unterstellen der islamisch-konservativen Regierung, mit dem Vorgehen gegen Kavala von Engagement abschrecken zu wollen, das nicht mit der Ideologie der regierenden Partei AKP übereinstimmt. Die Regierung argumentiert ihrerseits gegen solche Vorwürfe, die Justiz in der Türkei sei unabhängig. Die Europäische Union etwa hatte daran Ende vergangenen Jahres massive Zweifel angemeldet und dem Land - wie viele Kritiker zuvor - eine mangelnde Unabhängigkeit der Justiz attestiert.

(APA)

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