Österreich: Heißer Sommer gegen Atomkraftwerke

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Auf den Tag genau 36 Jahre nach der Katastrophe im ukrainischen Atomkraftwerk Tschernobyl bereitet Österreich vor, im Sommer mit Aktivitäten gegen AKW durchzustarten. Schwerpunktländer sind nicht nur die Nachbarstaaten, sondern auch Frankreich und Belgien.

Für diesen Dienstag hatte Jürgen Czernohorszky andere Pläne – nicht in seiner Funktion als Stadtrat in Wien (Umwelt, Klima, Demokratie, Personal), sondern als Vorsitzender der informellen Gruppe „Städte für ein atomfreies Europa“ (CNFE). Beabsichtigt war eine Reise in die Ukraine – um Vereine zu unterstützen, die sich engagieren, um medizinische Hilfe für Familien, insbesondere Kinder bzw. Enkel von Feuerwehrleuten und Liquidatoren (Männer, die bei den Aufräumarbeiten nach dem Reaktorunfall im ukrainischen Atomkraftwerk Tschernobyl, nördlich von Kiew, nahe der Grenze zu Belarus, eine hohe Strahlendosis abbekommen haben) zur Verfügung zustellen. Außerdem leiden viele Menschen an den Folgen der Absiedlung aus dem Gebiet rund um das AKW.

„Wir werden diese Fahrt in die Ukraine nachholen, sobald dies möglich ist“, sagt Czernohrszky, der den 36. Jahrestag des Reaktorunfalls zum Anlass nimmt, die Aktivitäten gegen Atomkraftwerke zu intensivieren. Der „Anti-Atom-Gipfel“ am vergangenen Freitag war dazu gewissermaßen der Start. Obwohl man unter den Städten gegen die Atomkraft vergeblich eine französische sucht, gibt es erste Entwicklungen, die auf einen Stimmungsumschwung hindeuten könnten: An die Bürgermeister französischer Großstädte gerichtete Briefe der Anti-Atom-Kommunen werden – anders als früher – zumindest beantwortet. Der diesbezügliche Dialog beginnt, wenn auch mit kleinen Schritten.

Frankreich, Belgien

Derzeit sind Frankreich und Belgien zwei Schwerpunktländer, auf die besonderes Augenmerk gerichtet wird. In Frankreich beabsichtigt die Électricité de France, Betreiber der AKW, nicht nur die Nuklearanlage in Tricastin um 20 Jahre länger am Netz zu halten, sondern 31 weitere Kraftwerke mit Reaktoren gleicher Bauart. Und in Belgien ist vor kurzem beschlossen worden, die AKW generell länger zu betreiben und den Atomausstieg um zehn Jahre auf 2035 zu verschieben.

Nach dem Ausgang der Wahl in Slowenien will das Städte-Netzwerk einen besonderen Fokus auf das grenzüberschreitenden UVP-Verfahren um die Laufzeitverlängerung des AKW Krško richten. Das AKW liegt auf einer Erdbebenzone; im Mai wird es dazu auch in Österreich eine öffentliche Anhörung geben. Aktuelles Betätigungsfeld liefern auch die Absichten, das AKW Paks in Ungarn länger zu betreiben bzw. zu erweitern, schließlich soll auch Mochovce in der Slowakei zwei zusätzliche Atommeiler bekommen.

„Sicherheitsrisiken deutlicher sichtbar“

Die Sicherheitsbedenken gegen Atomkraft sind bekannt, und in keinem Punkt entschärft worden, meint der Stadtrat und CNFE-Vorsitzende: „Diese Bedenken sind deutlich sichtbarer denn je.“ Das sei nicht nur sehr viel stärker zutage getreten, seit die CNFE einen intensiven Austausch mit den „Bürgermeister*innen für ein Japan ohne Atomkraft“ pflegt. Vor allem auch die Ereignisse in Tschernobyl und dem größten AKW Europas in Zaporosche im Krieg gegen die Ukraine haben aufgezeigt, wie hoch die Gefahr ist.

„Wir sehen, wie die Atomlobby erstarkt, wir wollen dagegenhalten“, so Czernohorzky. Während die Atomindustrie und deren Befürworter die Klimakrise als Argument benutzen, will der Wiener Politiker gerade diese Begründung nicht gelten lassen. Denn Geld gebe es nicht im Überfluss; und deshalb bringe die Investition in erneuerbare Energie schnellere und mehr Entschärfung für die Klimakrise.

Bereits 2019 hat eine Studie der bis dahin angestandenen Lebenszeit-Verlängerungen gezeigt, dass sie keinen Sicherheitsgewinn bringen: Die mit einer längeren Lebensdauer verbundenen baulichen Maßnahmen sind die Reparatur von Defekten und Alterung von Komponenten, keine Modernisierung. Dazu komme noch das Risiko, dass die ursprünglich verwendete Technologie mit den neuen Komponenten nicht ganz kompatibel ist.

Und schließlich: Die von AKW-Befürwortern gepriesenen „Klein-Reaktoren“ („Small Modular Reactor“; SMR) stellen sich bei genauer Betrachtung als alter Wein in neuen Schläuchen da. Rein aus wirtschaftlichen und Sicherheitsgründen müssen sie eine Mindestgröße haben; und die grundsätzlichen Probleme dieser Technologie werden nicht gelöst.

300 Jahre Tschernobyl-Folgen messbar

36 Jahre nach dem verheerenden Unfall in Tschernobyl sind die Probleme dieser Technologie um nichts weniger sichtbar als 1986. Damals war auch Österreich direkt betroffen: Hier sind etwa zwei Prozent der in Tschernobyl emittierten nuklearen Fracht niedergegangen – vor allem aufs Tauerngebirge, im Mariazellerland, im Semmering- und im Wechsel-Gebiet. Milch und frisches Obst und Gemüse wurde aus dem Verkehr gezogen, Sand auf Spielplätzen musste ausgetauscht werden. Es kann 300 Jahre dauern, bis das Ausmaß an Strahlenbelastung auf das Niveau vor dem 26. April 1986 zurückgeht. Hierzulande geht unter normalen Umständen von der Tschernobyl-Belastung heute keine Gefahr mehr aus.

In welchem Ausmaß Krebserkrankungen und Todesfälle in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion auf das Konto des Reaktorunfalls gehen, vermag niemand zu sagen. Nach der Explosion sind 600.000 „Liquidatoren“ aus allen Regionen der damaligen Sowjetunion nach Tschernobyl beordert worden. So es eine gab, wurden deren Krankengeschichten nicht ausgewertet, ebenso wenig wie die Gesundheitsverläufe jener Menschen verfolgt wurden, die aus den vom radioaktiven Niederschlag am stärksten betroffenen Gebieten abgesiedelt worden sind.

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