Österreichs Grenzkontrollen sind unrechtmäßig

STEIERMARK: GRENZOeFFNUNG / AUFHEBUNG DER EINREISEBESCHRAeNKUNGEN AN DER GRENZE ZU SLOWENIEN
STEIERMARK: GRENZOeFFNUNG / AUFHEBUNG DER EINREISEBESCHRAeNKUNGEN AN DER GRENZE ZU SLOWENIENAPA/ERWIN SCHERIAU
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Der EuGH schränkt die seit 2015 immer wieder verlängerten Kontrollen der Schengengrenzen ein. Das Urteil dürfte auch Folgewirkungen auf Deutschland und weitere EU-Länder haben.

Seit Jahren hat Österreich laut einem EuGH-Urteil gegen das Schengenabkommen verstoßen. EU-Bürgern wurde die ihnen rechtlich zugesicherte Reisefreiheit innerhalb der Union eingeschränkt. Am Dienstag hat das EU-Gericht die von Österreich seit 2015 mehrfach verlängerten Grenzkontrollen gegenüber Nachbarstaaten für unrechtmäßig erklärt.

Das Schengenabkommen verpflichtet die Mitgliedstaaten, auf Grenzkontrollen zu verzichten. Ausnahmen gibt es nur in sehr beschränkten Fällen, wenn es eine „Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit“ gibt. Solche Anlässe sind der EU-Kommission zu melden. Nach sechs Monaten müssen diese Kontrollen aber wieder eingestellt werden, außer es gibt neue Bedrohungen. Brüssel hat nicht nur im Fall von Österreich die Augen über Jahre zugedrückt, sondern bei zahlreichen Mitgliedsdtaaten. 2015 wurden im Rahmen der Flüchtlingskrise an den Grenze zu Slowenien und Ungarn Personenkontrollen eingeführt. Zuerst stützte sich Österreich noch auf Empfehlungen des Rats der EU und setzte die Kontrollen weiter fort. Ab November 2017 wurden Personen allerdings auf eigene Initiative weiterhin angehalten. Eigentlich hätte dies ein EU-Vertragsverletzungsverfahren auslösen müssen.

Anlass des Luxemburger Urteils war eine Beschwerde von Stefan Salomon. Der Assistenzprofessor für Europarecht am Institut für Europäische Studien der Universität Amsterdam ist der anonymisierte „NW“ im Urteil des EuGH. Zweimal weigerte er sich im August und November 2019 unter Verweis auf den Schengener Grenzkodex am Grenzübergang Spielfeld, seinen Reisepass vorzuweisen. „In der Praxis bedeutet dieses Urteil, dass die Grenzkontrollen unionsrechtswidrig sind und aufgehoben werden müssen“, sagt er zur „Presse“. Denn das Innenministerium hat alle sechs Monate fast wortgleiche Begründungen für die Fortsetzung der Kontrollen nach Brüssel gemeldet. Die Fortsetzung wäre aber nur legal gewesen, wenn „komplett neue Gründe vorliegen.“

Salomon hält es für wahrscheinlich, dass gleichartige Klagen gegen die Kontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze sowie an den Grenzen Frankreichs und Schwedens geleichfalls erfolgreich wären. Und er verweist auf den delikaten politischen Hintergrund dieses Themas. Bei der mündlichen Verhandlung vor dem EuGH seien die Rechtsvertreter der Europäischen Kommission gefragt worden, wieso sie nicht ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die betroffenen Mitgliedstaaten eingeleitet hätten. Antwort der Kommissionsjuristen: Das hätte dem Narrativ der Mitgliedstaaten in die Hände gespielt, „dass die Kommission sie daran hindert, ihre Bürger zu schützen, und Terroristen ins Land zu lassen.“ Anders ausgedrückt: die Kommission, ansonsten so stolz auf ihre Rolle als „Hüterin der Verträge“, wagt es seit Jahren nicht, dieser Aufgabe in einer wesentlichen Frage des Unionsrechts nachzukommen.

Nun liegt der Ball beim Landesverwaltungsgericht Steiermark, das diese Rechtsfrage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt hatte. Salomon erwartet, schon in den kommenden Wochen ein endgültiges Urteil zu erhalten, das ihm Recht gibt – und die Bundesregierung zum Handeln zwingen wird, wenn sie nicht einen weiteren EU-Rechtsbruch begehen will.

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