"Meilenstein"

25 Jahre Gewaltschutzgesetz: Häusliche Gewalt für Zadic keine Privatsache

Ab Juli sollen auch die Gerichte bei einstweiligen Verfügungen zur Teilnahme an einer Gewaltpräventionsberatung verpflichten können, fordert die Justizministerin.
Ab Juli sollen auch die Gerichte bei einstweiligen Verfügungen zur Teilnahme an einer Gewaltpräventionsberatung verpflichten können, fordert die Justizministerin.(c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
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Das Gewaltschutzgesetz habe das Thema enttabuisiert, sagt Justizministerin Alma Zadic, man dürfe aber „nicht stehenbleiben". Es brauche ein Konzept für eine flächendeckende Versorgung mit Gewaltambulanzen.

Das österreichische Gewaltschutzgesetz sei ein "gesamtgesellschaftlicher Meilenstein", der häusliche Gewalt "vom Tabuthema zu einer der zentralen politischen Fragen" gemacht habe, sagte Justizministerin Alma Zadic (Grüne) am Freitag bei einer Veranstaltung in Wien anlässlich des 25. Jahrestags des Inkrafttretens am 1. Mai 1997. Gewalt im Privatbereich, meist gegen Frauen und Kinder, sei heute dadurch "keine Privatsache" mehr, bekräftigte Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP).

Marina Sorgo, Vorsitzende des Bundesverbands der Gewaltschutzzentren, erinnerte sich an ihre Anfänge als junge Sozialarbeiterin im Frauenhaus Mitte der 1980er-Jahre zurück. "Keine Zeitung schrieb von den vielen getöteten Frauen. Das waren damals rund 60 pro Jahr. Niemand interessierte sich für das große Leid der Kinder und für die Ohnmacht der Polizei, die meist vor Ort kaum Handlungsmöglichkeiten hatte." Die neue Frauenbewegung, aus der auch die Frauenhausbewegung entstand, habe das Problem an die Öffentlichkeit gebracht.

Stärkere Zusammenarbeit zwischen Einrichtungen

Mit dem Gewaltschutzgesetz 1997 habe Österreich als erstes Land in Europa tiefgreifende Konsequenzen im Umgang mit Gewalt gezogen, so Sorgo. In den ersten Jahren seien pro Jahr rund 2000 Personen in den gleichzeitig etablierten Gewaltschutzzentren betreut worden, im vergangenen Jahr wurden schon mehr als 22.000 auf diesem Weg erreicht. Insgesamt waren es seit Inkrafttreten rund 330.000 Personen, zum allergrößten Teil Frauen und ihre Kinder - mehr Menschen als Graz Einwohner hat.

Zadic blickte auf Verbesserungen im Gewaltschutz in den vergangenen beiden Jahren zurück: Die Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaften, Opferschutzeinrichtungen und Polizei sei gestärkt worden, der Zugang zum Recht durch psychosoziale und juristische Prozessbegleitung verbessert - hier kündigte sie einen weiteren Ausbau an. Um "die Gewaltspirale zu durchbrechen", sollen weiters ab Juli auch die Gerichte bei einstweiligen Verfügungen zur Teilnahme an einer Gewaltpräventionsberatung verpflichten können.

Ein wichtiges Anliegen sei ihr eine Erhöhung der Verurteilungsquote durch bessere Beweissicherung. "Oft steht Aussage gegen Aussage." Alle beteiligten Ressorts hätten sich daher geeinigt, bis Jahresende ein Konzept für eine flächendeckende Einrichtung von Gewaltambulanzen vorzulegen, gab Zadic bekannt. Ziel sei, Spuren "gerichtsfest zu dokumentieren".

2021 um 17 Prozent mehr Betretungsverbote

Denn man dürfe "nicht stehenbleiben": 2021 gab es um 17 Prozent mehr Betretungsverbote als im Jahr davor, berichtete die Justizministerin. Für 2020 verzeichne das Bundeskriminalamt 32 weibliche Mordopfer, davon vier Mädchen, 2021 seien es 29 weibliche Mordopfer, davon ein Mädchen.

Vor 25 Jahren sei erstmals der Grundsatz "Wer schlägt, der geht" verankert worden, erinnerte Raab und betonte, dass mehr als die Hälfte des "Rekord-Frauenbudgets" 2022 in den Gewaltschutz fließe. Um Frauen künftig noch besser zu erreichen und die Zivilgesellschaft weiter zu sensibilisieren, sollen die Gewaltschutzzentren einen verstärkten Außenauftritt mit neuer "Corporate Identity" erhalten.

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) konnte krankheitsbedingt nicht teilnehmen. Er bekannte sich in einem Statement zum Gewaltschutz als zentrale Aufgabe der Polizei, die ständig mit den Gewaltschutzzentren weiterentwickelt wird. Diese Zusammenarbeit sei "ein international anerkanntes Vorzeigemodell". Nötig sei aber auch ein "Schulterschluss der Gesellschaft. Sie muss Frauen, die Opfer von Gewalt werden, noch mehr ermutigen, die Gewaltspirale zu durchbrechen und die Polizei zu rufen".

3700 Gefährder seit Jahresbeginn erfasst

Seit Jahresbeginn hat die Polizei österreichweit im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt fast 3700 Gefährder weggewiesen. Seit September des Vorjahres geht mit der damit verbundenen Verhängung eines Betretungs- und Annäherungsverbots auch ein verpflichtendes sechsstündiges Training in einer der in jedem Bundesland neu geschaffenen Beratungsstellen für Gewaltprävention einher. Von September bis Ende 2021 waren rund 4000 Personen dort vorschriftsmäßig vorstellig geworden.

Die aktuellen Länderdaten im Detail: Im Bereich der Landespolizeidirektion Wien wurden seit Jahresbeginn bis zuletzt (Stand 26. April) 1130 Gefährder(innen) beamtshandelt, geht aus Daten des Bundeskriminalamts hervor. Mehr als 90 Prozent der Beschuldigten insgesamt in solchen Fällen sind laut BK männlich. In Niederösterreich waren zum Erhebungszeitpunkt 623 Fälle seit Anfang des Jahres aktenkundig, gefolgt von Oberösterreich (597) und der Steiermark (375). Tirol verzeichnete 286 Gefährder, die Landespolizeidirektion Kärnten meldete 215, Salzburg 200, die burgenländische Polizei 117 und in Vorarlberg waren es 110 Personen.

SPÖ-Frauenvorsitzende sieht Vorreiterrolle verspielt

Der Bundesverband der Kinderschutzzentren moniert ein gesetzlich verankertes Unterstützungsangebot für Kinder und Jugendliche in Fällen von Gewalt in der Familie. "Die Belastung von Kindern durch häusliche Gewalt gerät immer wieder aus dem Blick, obwohl zahlreiche Studien die schädigenden Auswirkungen belegen", sagte die Vorsitzende Petra Birchbauer anlässlich des 25. Jahrestags des Gewaltschutzgesetzes in Österreich.

Das Gewaltschutzgesetz sei auch für Kinder, die selbst Gewalt erleben oder von der Gewalt eines Elternteils oder einer Bezugsperson gegen die andere betroffen sind, eine wichtige Errungenschaft. Während die Unterstützung von Erwachsenen nach polizeilichen Interventionen gut etabliert und durch das Sicherheitspolizeigesetz abgesichert ist, gebe es aber bis heute kein gesetzlich verankertes Angebot für Kinder und Jugendliche.

Eine Untersuchung zu Interventionen im Rahmen des Gewaltschutzgesetzes (Kiras Studie 2017) habe gezeigt, dass rund ein Drittel der Polizeieinsätze durch Anrufe von Kindern oder Jugendlichen ausgelöst wird. Bei etwa der Hälfte seien Minderjährige anwesend. Nicht immer reiche es aus, die gewaltausübende Person wegzuweisen und das Kind mit einer schwer betroffenen Bezugsperson zurückzulassen, sagte Hedwig Wölfl, stellvertretende Vorsitzende im Bundesverband. Man könnte "weitere schützende Personen hinzuziehen, die auch Ressourcen haben, auf das Kind und seine Bedürfnisse einzugehen".

SPÖ-Frauenvorsitzende Eva-Maria Holzleitner bezeichnete das Gewaltschutzgesetz als "einen der größten gesellschaftspolitischen Meilensteine", der nicht zuletzt SPÖ-Politikerinnen wie Johanna Dohnal, Helga Konrad und Barbara Prammer zu verdanken sei. Es sei bedauerlich, dass Österreich seine internationale Vorreiterrolle "komplett verspielt hat". "Wir brauchen 228 Millionen und 3000 Vollzeitbeschäftigte mehr im Bereich des Gewalt- und Opferschutzes", so Holzleitner.

(APA)

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