Go-Meister Ke Jie unterliegt der Künstlichen Intelligenz Alpha Go.
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Computer verhandeln anders

Einer Maschine gegenüberzusitzen beeinflusst, wie Menschen taktieren. Zu diesem Schluss kommt eine Untersuchung des Einflusses künstlicher Intelligenz bei Preisverhandlungen in der Wirtschaft.

Wenn eine Firma bei einem Zulieferer Waren bestellt, setzen sich die zuständigen Mitarbeiter der beiden Unternehmen an einen Tisch und machen sich Liefermengen und Preise aus. So war es zumindest in der guten alten analogen Welt. Im Zeitalter von Industrie 4.0 sieht das jedoch ganz anders aus: Verhandlungen werden von Computern geführt – mithilfe künstlicher Intelligenz (KI). Wie das die Verhandlungstaktik beeinflusst, hat Clemens Löffler, Ökonom am Institute for Digital Transformation and Strategy der FH Wien der Wirtschaftskammer Wien, untersucht.

„Eine der wichtigsten taktischen Entscheidungen bei solchen Gesprächen ist, abzuwägen, welche Fakten aus dem eigenen Unternehmensbereich – etwa die Nachfrageentwicklung oder die Produktionskosten – man seinem Gegenüber preisgibt und was man geheim hält“, sagt Löffler. „Dabei werden schlechte Neuigkeiten gern an den Verhandlungspartner weitergegeben, gute Nachrichten nicht.“ Konkret: „Gibt der Konzern seinem Zulieferer bekannt, dass die Absatzprognose ungünstig ist, kann er darauf hoffen, dass der Zulieferer den Preis für seine Waren senkt, um trotz der schlechten Aussichten hohe Stückzahlen an den Konzern zu verkaufen. Schwärmt der Verhandler aufseiten des Konzerns jedoch von hervorragenden Absatzmöglichkeiten, läuft er Gefahr, dass der Zulieferer seine Preise erhöht, um am erwarteten Erfolg mitzuschneiden. Daher wird er in diesem Fall aus strategischen Gründen mit Informationen eher zurückhaltend sein.“

Kommt künstliche Intelligenz ins Spiel, wird dieses taktische Vorgehen jedoch kompliziert, „denn auch das Vorenthalten von Information wird mithilfe des Algorithmus umfassend analysiert, und es werden Rückschlüsse daraus gezogen.“ Das Wissen, einem Computer mit diesen Möglichkeiten gegenüberzusitzen, beeinflusse wiederum die Verhandlungsstrategie des Menschen und dessen taktische Entscheidungen.

Die „Kollegin KI“ entscheidet

Noch komplexer wird es, wenn sich drei oder gar mehr Verhandler beteiligen. Für das eigene Unternehmen die beste Option zu wählen wird in solchen Situationen zunehmend schwieriger. Immer mehr große Konzerne überlassen die Entscheidung über die Informationsweitergabe daher der „Kollegin KI“.

In letzter Konsequenz werden es daher möglicherweise bald die Rechner sein, die aus den Computerräumen der Firmenzentralen direkt miteinander kommunizieren. Löffler hat sich bei einem Praxisfall angesehen, was dabei passiert: „Der KI-basierte Algorithmus eines weltweit führenden Anbieters von Haushaltsgeräten in einem chinesischen Konzern hat entschieden, im Bemühen um möglichst niedrige Einkaufspreise bestimmte Informationen selektiv an manche Zulieferer weiterzugeben, an andere aber nicht.“

Der technische Aufwand, um Preise mittels KI zu den eigenen Gunsten zu beeinflussen, lohne sich freilich zumindest derzeit nur für große Unternehmen, schränkt Löffler ein. „Kleine haben ja auch kaum Verhandlungsmacht.“ Seine Arbeit sei formaltheoretisch aufgebaut und zeige Möglichkeiten auf, betont der Wissenschaftler.

Die Erkenntnisse zu evaluieren und die Folgen der KI-beeinflussten Verhandlungsstrategien inkonkrete Gewinnzahlen von Unternehmen zu gießen bleibe allerdings noch Aufgabe künftiger Forschung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2022)

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