Industrie solle Vorrang erhalten, Behörde lehnt ab.
Wer bekommt das letzte Gas, wenn die Lieferungen aus Russland nicht mehr kommen? Diese Frage hängt seit Wochen wie eine dunkle Wolke über Deutschland. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat bereits die erste von drei Notfallstufen ausgerufen.
In einem Interview mit dem „Manager Magazin“ preschte nun Karl-Ludwig Kley, der Aufsichtratschef des Energiekonzerns E.On und der Fluglinie Lufthansa, mit einer provokanten Forderung vor: Sollte Gas knapp werden, müssten zuerst die Privathaushalte abgekoppelt werden, dann die Industrie. Im Ernstfall müsse die deutsche Bevölkerung frieren. Die Produktion am Laufen zu halten habe Vorrang, so der 70-jährige deutsche Topmanager, der als blendend vernetzt gilt und auch als Aufsichtsrat für den Autohersteller BMW, den Telekomanbieter Verizon oder den Medienkonzern Bertelsmann tätig war.
Krankenhäuser wichtiger
Der Chef der zuständigen Behörde, der Bundesnetzagentur, lehnte den Vorschlag des Managers am Freitag ab. „Ich kann und möchte mir nicht vorstellen, dass man die Versorgung von Krankenhäusern weniger wichtig finden kann als die der Industrieunternehmen“, sagte Klaus Müller im Interview mit der „Rheinischen Post“.
Er selbst hatte vor Kurzem über die Idee gesprochen, bestimmte Gaskunden wie Alleinlebende mit großen Wohnungen zuerst zum Sparen zu zwingen. Wie das genau technisch funktionieren könnte, ist unklar. Die Bundesnetzagentur erhebt derzeit Daten zum deutschen Netz, um im Ernstfall entscheiden zu können, wer das letzte Gas bekommt. (zot)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2022)