Rot-Grün: „Integrationswillen von Zuwanderern stärken“

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RotGruen bdquoIntegrationswillen Zuwanderern staerkenldquo(c) APA/HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)
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Mit Turbulenzen begann die Inthronisierung von Rot-Grün in Wien. Eine Wahlrechtsreform wurde (vorerst) abgelehnt. Dafür sorgte Häupls Regierungserklärung für Aufsehen.

Wien. Es ist eine Stimmung wie am ersten Schultag. Die Abgeordneten plaudern aufgeregt wie Schüler durcheinander, Vizebürgermeisterin Renate Brauner zeigt sich technikbegeistert und packt ihr neues iPad aus. Darüber thront Klassenvorstand Michael Häupl, der zur Ruhe mahnt.

Es ist Donnerstag, 9 Uhr – ein historischer Tag. Die erste rot-grüne Landesregierung Österreichs nimmt ihre Arbeit auf. Alle sind festlich gekleidet, die Besuchergalerie ist prominent besetzt wie selten zuvor: Sozialminister Rudolf Hundstorfer, der grüne Ex-Bundessprecher und Doch-nicht-Gemeinderat Alexander Van der Bellen mit Bundessprecherin Eva Glawischnig, dazu FP-Chef Heinz-Christian Strache.

Nicht nur Rot-Grün ist an diesem Tag eine Premiere. Auch dass der erste Redner, FP-Klubchef Johann Gudenus, nach nur 60Sekunden einen Ordnungsruf kassiert, ist ein Novum. Die Aussage, SPÖ-Größen wie Helmut Zilk oder Bruno Kreisky hätten sich nie auf ein „derartiges Wahnsinnsprojekt mit linksextremen Anarchos“ eingelassen, hat Gudenus den Rekord des schnellsten Ordnungsrufs in der Geschichte des Wiener Gemeinderats beschert. Für Turbulenzen sorgte auch VP-Abgeordneter Alexander Neuhuber, der Van der Bellen aufforderte, die Besuchergalerie zu räumen und im Gemeinderat Platz zu nehmen – um jene 12.000 Wähler, die ihm eine Vorzugsstimme gegeben haben, nicht zu betrügen.

Vassilakou erhielt nur 58 Stimmen

Auch andere Ereignisse sind an diesem Tag im Wiener Gemeinderat ein Novum. Beispielsweise, dass die grüne Verkehrs- und Planungsstadträtin Maria Vassilakou nur 58Stimmen erhält. Das ist bemerkenswert, weil Rot-Grün über 60 Stimmen verfügt, somit zwei SPÖ-Mandatare (oder gar zwei Grüne?) gegen Vassilakou gestimmt haben müssen. Da dürfte nicht zu allen SP-Abgeordneten durchgedrungen sein, dass die Partei in einer Koalition mit den Grünen ist. Dass die Wahl der Stadträte wiederholt werden musste, weil einige Abgeordnete die falschen Stimmzettel abgaben, manche Stadträte 102 Stimmen erhielten, obwohl es nur 100 Abgeordnete gibt, war ebenfalls eine Premiere.

In seiner Regierungserklärung ging Michael Häupl gezielt auf die rot-grüne Koalition ein: „Rot-Grün ist neu für Österreich und stellt eine Alternative zu bisherigen Koalitionsvarianten dar.“ Und: „Zum ersten Mal übernehmen unsere Parteien gemeinsam Verantwortung, um zu zeigen, dass... neue Wege beschritten werden können und aus meiner Sicht auch beschritten werden müssen.“

„Grüne laufen nackt durch Wien“

Gleichzeitig ging der alte und neue Bürgermeister auf kleinere Differenzen zwischen SPÖ und Grünen ein: „In zentralen inhaltlichen Fragen sehe ich Übereinstimmung. Dort, wo das nicht gegeben war, haben wir in den Verhandlungen faire Kompromisse gefunden.“ Als Eckpunkte der rot-grünen Stadtregierung definiert Häupl Folgendes: Bekämpfung der Armut, vor allem der Kinderarmut (die Mindestsicherung für alle Wiener Kinder wird auf monatlich 200 Euro angehoben), der Bau des Krankenhauses Nord in Floridsdorf (eines der größten Spitäler Österreichs), Erhöhung der Sicherheit (von der sozialen Sicherheit bis zum subjektiven Sicherheitsgefühl durch mehr Ordnung und Sauberkeit), Initiativen im Bereich der Bildung (Ausbau der Wiener Mittelschule, einer gemeinsamen Schule für 10- bis 14-Jährige), Integration (jedes Kind, das in die Volksschule kommt, soll Deutsch können). Mit einer Meldung ließ Häupl aufhorchen: In manchen Gruppen müsse der Integrationswille der Zuwanderer eingefordert und gestärkt werden.

Nebenbei: Der VP/FP-Antrag für ein neues Wahlrecht wurde von Rot-Grün mit Hinweis auf eine Arbeitsgruppe abgelehnt. Dazu die verärgerte VP-Klubchefin Christine Marek in ihrer ersten Gemeinderatsrede: „Die Grünen haben nicht nur die Hosen heruntergelassen, sie haben ihr Gewand in der SPÖ-Zentrale abgegeben und laufen nackt durch Wien.“

Auf einen Blick

Die neue rot-grüne Stadtregierung wurde am Donnerstag angelobt. Michael Häupl wurde zum Bürgermeister, Renate Brauner und die grüne Parteichefin Maria Vassilakou zu Vizebürgermeisterinnen ernannt. In seiner Regierungserklärung kündigte Häupl an,
dass sich die erste rot-grüne Regierung auf Landesebene vor allem auf Bildung, Soziales und Sicherheit konzentrieren wird. Der VP/FP-Antrag zur Änderung des SP-freundlichen Wahlrechts wurde von Rot-Grün in eine Arbeitsgruppe verlagert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2010)

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