Der Oberste Gerichtshof könnte das 1973 gefällte Urteil im Fall „Roe vs Vade“ kippen. Wie die US-Zeitung „Politico" berichtet, soll ein dementsprechender Entwurf vorliegen. Abtreibung wäre wieder Sache der Bundesstaaten, was in einigen davon zu Verschärfungen führen dürfte.
Das Oberste Gericht der USA steht laut einem Medienbericht möglicherweise davor, das landesweite Recht auf Abtreibung zu kippen. Die Zeitung "Politico" veröffentlichte am Montagabend einen entsprechenden Urteilstext, bei dem es sich um einen ersten Entwurf einer mit Spannung erwarteten Entscheidung des Supreme Court zu dem Fall „Roe vs Wade" handeln soll. Die Abtreibungsdebatte könnte damit zu einem zentralen Thema bei der Kongresswahl Anfang November werden.
"Roe war von Anfang an ungeheuerlich falsch", schrieb einer der Richter, Samuel Alito, laut dem Bericht in dem auf den 10. Februar datierten Papier. Das Oberste Gericht und das Präsidialamt lehnten zunächst Stellungnahmen ab. Die Nachrichtenagentur Reuters konnte die Echtheit des Entwurfes nicht bestätigen.
Entscheidung bis Juni erwartet
Eine juristisch bindende Veröffentlichung des endgültigen Urteils wird bis Ende Juni erwartet. Zwischen Entwürfen und der endgültigen Fassung können die Mitglieder des Obersten Gerichtes auch ihre Meinung ändern. "Es ist möglich, dass es seither einige Änderungen gegeben hat", sagte "Politico"-Reporter Josh Gerstein, der den Bericht veröffentlichte, dem Sender MSNBC. Das Gericht ist mit einer konservativen Mehrheit von sechs zu drei Stimmen besetzt.
Unmittelbar nach der Veröffentlichung des Berichts versammelten sich Abtreibungsgegner und -befürworter vor dem Gerichtsgebäude in Washington. Befürworter eines USA-weiten Rechts auf Abtreibung skandierten "Tut was, Demokraten", Gegner verlangten die Abschaffung. Einer Umfrage des Pew Research Center von 2021 zufolge sprechen sich 59 Prozent der US-Bürger für ein Recht auf Abtreibung in den meisten Fällen aus, während 39 Prozent dagegen sind.
„Roe v. Wade“ - umstritten seit 1973
Die Grundsatzentscheidung zum Fall Roe v. Wade aus dem Jahr 1973 ist eines der umstrittensten Urteile des Supreme Court. Es legt ein bundesweites Recht auf Abtreibung fest. Kritiker der Entscheidung sehen hier allerdings die Rechtssysteme der einzelnen Bundesstaaten in der Zuständigkeit, die in den USA eigene Strafgesetzbücher haben. Seit Jahrzehnten versuchen insbesondere erzkonservative Abtreibungsgegner, das Roe-Urteil zu kippen. Damit würden wieder die Gesetze der einzelnen Staaten greifen. Mehrere von ihnen haben bereits angekündigt, in diesem Fall die Abtreibung stark einzuschränken. Die Befürworter sehen in der Entkriminalisierung dagegen einen Meilenstein in der Geschichte liberaler Rechtsprechung.
Der Gouverneur von Kalifornien, der Demokrat Gavin Newsom, kündigte am Montag an, seine Regierung strebe eine Änderung in der kalifornischen Verfassung an. Demnach soll dort ein "Recht der Wahl" in Sachen Abtreibung festgeschrieben werden. "Wir können dem Supreme Court nicht vertrauen, dass er das Recht auf Abtreibung schützt, daher werden wir das selbst tun", twitterte Newsom.
Worum geht es?
Das Recht einer Frau auf Abtreibung während des ersten Schwangerschaftstrimesters wurde 1973 in den USA landesweit geschützt, nachdem der Oberste Gerichtshof in der Rechtssache „Roe v. Wade" mit 7:2 Stimmen entschieden hatte.
Die Klägerin Jane Roe, die später als Norma McCorvey identifiziert wurde, war eine unverheiratete schwangere Frau, die nach texanischem Recht keine Abtreibung vornehmen lassen hätte dürfen, es sei denn, es ginge darum, das Leben der Mutter zu retten.
Roes Anwälte erklärten, dass sie nicht in der Lage wäre, den Staat zu verlassen, um eine Abtreibung vorzunehmen, und argumentierten, dass das Gesetz zu vage sei und ihre verfassungsmäßigen Rechte verletze.
Das Mehrheitsurteil
"Eine Schwangerschaft tritt bei ein und derselben Frau oft mehr als einmal auf, und in der allgemeinen Bevölkerung wird sie, wenn der Mensch überleben soll, immer vorhanden sein", schrieb Richter Harry Blackmun, ein von Präsident Richard Nixon nominierter Republikaner, in der weitreichenden Mehrheitsmeinung, in der er die Einstellung zur Abtreibung seit der Zeit des persischen Reiches ausführlich darlegte.
Das texanische Gesetz verletze das Recht der Frauen auf Privatsphäre, sei zu weit gefasst und verstoße gegen die Verfahrensklausel im vierzehnten Zusatzartikel der US-Verfassung, hieß es in der Entscheidung.
"In anderen Fällen, wie in diesem, können die zusätzlichen Schwierigkeiten und das anhaltende Stigma der unverheirateten Mutterschaft eine Rolle spielen. All dies sind Faktoren, die die Frau und ihr zuständiger Arzt in ihrer Beratung berücksichtigen müssen."
Fünf von den Republikanern nominierte Richter waren in der Mehrheit. Das Gericht entschied, dass der Staat das Verfahren während des zweiten Trimesters regeln und sogar in den meisten Fällen im dritten Trimester verbieten kann.
"Wir sind nicht der Meinung, dass Texas durch die Annahme einer Theorie des Lebens die Rechte der schwangeren Frau, die auf dem Spiel stehen, außer Kraft setzen kann", schrieb Blackmun.
"Wir wiederholen jedoch, dass der Staat ein wichtiges und legitimes Interesse daran hat, die Gesundheit der schwangeren Frau zu erhalten und zu schützen, unabhängig davon, ob es sich um eine Einwohnerin des Staates oder eine Ausländerin handelt, die dort medizinische Beratung und Behandlung in Anspruch nimmt, und dass er ein weiteres wichtiges und legitimes Interesse daran hat, die Potenzialität des menschlichen Lebens zu schützen. Diese Interessen sind getrennt und unterschiedlich".
(APA/DPA)