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"Doctor Strange 2": Marvels Gruseldoktor hext wieder

Schiefe Kamerawinkel: Typisch für die schräge Welt von Doctor Strange (Benedict Cumberbatch). Neu im Boot: America Chavez (Xochitl Gomez, li.).
Schiefe Kamerawinkel: Typisch für die schräge Welt von Doctor Strange (Benedict Cumberbatch). Neu im Boot: America Chavez (Xochitl Gomez, li.).(c) Disney / Marvel Studios 2022
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In „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ wandelt Benedict Cumberbatch zum zweiten Mal auf Fantasy-Pfaden. Ein amüsanter Beinahe-Horrorfilm – und ein Teil des Disney-Plans, der Marvel-Marke sämtliche Filmgenres einzuverleiben.

Bei Rot über die Straße zu gehen, das würde Doctor Strange nicht im Traum einfallen. Daher zeigt sich der Oberhexer des Marvel-Universums verstockt, als er in einer ihm unbekannten Paralleldimension landet, wo gilt: Bei Grün bleibst du stehen, bei Rot darfst du gehen. Seine jugendliche Begleiterin rät ihm, sich nicht zu viele Gedanken zu machen und einfach drauf los zu spazieren, denn: Bei Reisen durch die Dimensionen weiß man letztlich nie, was als Nächstes kommt.

Was für eine wunderbare Vorstellung! Überraschungen gibt es bei Marvel sonst nämlich fast nur in Form von Plot-Twists. Abgesehen davon ist das Superhelden-Unterhaltungsimperium, das unsere Multiplex-Landschaft seit gefühlten Ewigkeiten besetzt hält, bis in den hintersten Winkel normiert und durchgetaktet. Immergleich geeichte Übermenschen schlagen sich an austauschbaren Widersachern die Fäuste wund und fallen sich am Ende vor schablonenhaften Digitalkulissen ein ums andere Mal in die Arme. Und das bis zum Sankt-Nimmerleinstag: Hoffnungen mancher, dass die Marvel-Chefs ihre langfristig vorgezeichneten, in sogenannte „Phasen“ unterteilten Film- und Serienpläne wegen Corona begraben (oder zumindest auf Eis legen) könnten, sind spätestens seit dem globalen Großerfolg von „Spider-Man: No Way Home“ geplatzt.

In „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ dreht sich das Helden-Karussell munter weiter. Für Fans ist das eine Jubelnachricht, für Skeptiker zumindest keine Hiobsbotschaft. Schließlich ist Doctor Strange – verkörpert vom auf genialische Z'widerwurzen abonnierten britischen Edelmimen Benedict Cumberbatch – nicht nur dem Namen nach der Spezialist fürs Schräge im Superheldenstall. Und darf daher auch ein Stückerl über die Stränge schlagen, ästhetisch wie erzählerisch. Tritt der magisch begabte „Meister der mystischen Künste“ in einem Marvel-Film ins Bild, leuchten die Augen aller Exzentriker auf: Wenigstens für ein paar Szenen ist dann meist (fast) alles möglich.

So auch in seinem zweiten Solo-Abenteuer, das ab Mittwoch die Kinos durchwalkt. Darin purzelt eine Teenagerin namens America Chavez (Xochitl Gomez, bald selbst Teil des Marvel-Superhelden-Kernteams) aus einem Neben-Universum unvermittelt in jenes von Strange. Und bricht unabsichtlich einen transdimensionalen Pallawatsch vom Zaun, bei dem auch Wanda Maximoff alias Scarlet Witch (Elizabeth Olsen, bekannt aus den „Avengers“-Filmen und der Serie „WandaVision“) eine Hauptrolle spielt.

Sam Raimi entfacht wieder „Tanz der Teufel“

Die Handlung des Films steht für sich. Und fügt sich trotzdem nahtlos in Marvels unendliches Heldenepos. Wenn Sie im Kino den Faden verlieren, fragen Sie ihre Kinder. Oder lassen Sie's bleiben und genießen Sie das Spektakel. Das hat es in sich: Als Regisseur konnte Sam Raimi gewonnen werden. Nicht irgendwer, sondern ein wahrer, mit allen Wassern gewaschener Altmeister des mit Eigensinn angespitzten Popcorn-Kinos.

Seinen Kultstatus als begnadeter Horror–Entertainer mit Hang zu cartoonesken Gewaltexzessen zementierte der62-Jährige schon 1981 mit der Dämonenhatz „Tanz der Teufel“, die in Deutschland erst 2016 vom Index genommen wurde. Zugleich ebneten seine „Spider-Man“-Filme mit Tobey Maguire schon in den frühen 2000er-Jahren (und sein unterschätzter Flop „Darkman“ schon 1990) den Weg für heutige Heldenwellen. In Doctor Stranges Welt, wo Seelenwanderungen und Wiedergänger, Séancen und faule Zauber zum Tagesgeschäft gehören, fühlt Raimi sich pudelwohl. Gibt ihre „Seltsamkeit“, sprich: narrative Flexibilität, ihm doch Spielraum für seine Steckenpferde: Fantasy-Horror und überdrehte Komik.

Voller Spielfreude lotet Raimi die Grenzen des Multiversums aus, lässt die Digitaleffekte in nicht-euklidischen Anderswelten Purzelbäume schlagen, Strange & Co gegen hantig-herzige Tentakelmonster antreten. Und dreht dabei immer wieder in Richtung Geisterbahn ab, wo ominöse Windböen im Lichte des Blutmonds durch bröckelnde Spukschlösser wehen.

Sogar der eine oder andere Schockeffekt bleibt zarten Seelen im Publikum nicht erspart. Raimi-Kenner dürfen sich indes über zahlreiche Anspielungen auf das Œuvre des Meisters freuen – darunter auch ein entzückender Gastauftritt seines Stammschauspielers Bruce Campbell. All das macht „Multiverse of Madness“ zu einem vergnüglichen und kurzweiligen Film, der sowohl jugendliche Marvel-Jünger als auch betagtere Freunde aparter Fantastik erfreuen wird. Zugleich ist er Teil einer breiter angelegten Strategie, mit der der Marvel-Mutterkonzern Disney seine Vorherrschaft in den Multiplex-Kinos noch weiter festigen will.

Wird „Doctor Strange“ bald ein eigenes Genre?

Wie in der Comic-Branche längst üblich, soll es künftig auch im Kino für jedes Genre – vom Thriller über die Komödie bis zum „erwachsenen“ Drama – einen eigenen Helden geben. Doctor Strange ist hierbei für Grusel und verquere Fantasy zuständig: Schon sein Debüt wurde vom renommierten Horror-Regisseur Scott Derrickson gestemmt.

Das Genre des Unheimlichen, mit dem jüngeres Kino-Publikum aufwächst, wäre dann also irgendwann nicht mehr „Horror“, sondern „Doctor Strange“. Und der gehört nicht allen, sondern Disney – eine wahrhaft schaurige Vorstellung. Hoffen wir, dass der Doktor sich wenigstens weiterhin traut, bei Rot über die Straße zu gehen.

Marvel Cinematic Universe

Disney hat für die Film- und Serienreihe „Marvel Cinematic Universe“ (MCU) weitreichende Pläne. Allein für heuer sind drei Filme geplant: Nach dem neuen „Doctor Strange“, dem 28. MCU-Film, startet am 8. Juli „Thor: Love and Thunder“ - erneut unter der Regie von Taika Waititi, er dürfte also ähnlich grotesk und lustig werden wie „Thor: Tag der Entscheidung" von 2017. Am 11. November kommt „Black Panther: Wakanda Forever" in die Kinos, für heuer der letzte Marvel-Film. Ryan Coogler führt erneut Regie. Die Titelrolle wurde nach dem Tod von Hauptdarsteller Chadwick Boseman nicht neu besetzt, stattdessen soll es um die Mythologie des fiktiven und hochtechnisierten afrikanischen Staates Wakanda gehen.

Nächstes Jahr geht es weiter mit neuen "Guardians of the Galaxy“ - und "Ant-Man"-Filmen sowie der "Captain Marvel"-Fortsetzung "The Marvels".

Außerdem veröffentlicht Disney heuer vier Marvel-Serien auf dem Disney-eigenen Streamingdienst: Auf „Moon-Knight“, im März bereits gestartet, folgen „She-Hulk“ über die ebenfalls mit Superkräften ausgestattete Cousine von Hulk (gespielt von Tatiana Maslany), der „Guardians of the Galaxy"-Ableger „I Am Groot“. Starbesetzt ist „Secret Invasion" mit Samuel L. Jackson, Oscar-Preiträgerin Olivia Colman und "Game of Thrones"-Star Emilia Clarke.

Im Gegensatz zu den Filmen werden die Starttermine der Serien kurzfristig bekannt gegeben.

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