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Die Renaissance der Reiseblogs

Über Reisen schreiben, was Sache ist, nicht bloß optimiertes Posing vor Kulissen. Reisen und lebendig bloggen, vielleicht hat das eine ­Renaissance.
Über Reisen schreiben, was Sache ist, nicht bloß optimiertes Posing vor Kulissen. Reisen und lebendig bloggen, vielleicht hat das eine ­Renaissance. S. Migaj/unsplash
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Gewinnen Reiseblogs an Gewicht? Ich, chronischer Skeptiker dieses Genres, empfehle zwei.

Weil mich länger niemand darauf hingewiesen hat, dass es „das Blog“ und nicht „der Blog“ heißt – ­ich bleibe bei der männlichen Form –, dachte ich, die Blogära sei vorbei. Doch da die Flug- und Weltreisenära aus ­Klimagründen bald nur mehr für Privilegierte erschwinglich sein wird, könnte der Reiseblog eine Renaissance feiern – hoffentlich von lebendigen Autorinnen und Autoren verfasst, nicht von schnittigen Influencerfiguren, die uns ihr High-End-Süßkartoffelparfait präsentieren.

Mein Lieblingsblog ist jener von ­Gudrun Krinzinger, bis 2010 Buchhändlerin, heute „die Reisebloggerin“. Mit einigen ihrer Texte hat sie dem Genre neue Standards gesetzt. „Am liebsten würde ich als Wolkenbeobachterin in einem Baumhaus leben“, und mit ihren Texten möchte sie „kleinen und großen Dingen mit den richtigen Worten das nötige Gewicht verleihen“. Bei der Reisebloggerin nehme ich sogar, ein bisschen schweren Herzens, die problematische und oft teuflische Ich-Form von Reise­berichten in Kauf, die ich sonst nur in dieser Kolumne akzeptiere.


Der charmanteste Blog stammt von der Kölnerin Natalie Dedreux, 22, Expertin für Down-Syndrom, selbst Betroffene, Aktivistin für Inklusion. Sie hatte den Mut, Angela Merkel öffentlich darauf anzusprechen, wieso man Babys mit Trisomie 21 bis kurz vor der Geburt abtreiben darf. „Ein bisschen Aufregung war da“, schreibt sie darüber, „sie ist ja mächtig.“ Bei Natalie Dedreux kapierte ich erstmals, wieso Texte und Nachrichten in „einfacher Sprache“ Bedeutung haben.

Am liebsten lese ich in ihren bestürzend klaren Reiseaufzeichnungen. In Maastricht notiert sie: „Da haben wir eine Kirche gesehen, da waren Bücher drin. Das fand ich nicht so praktisch. ­
Die gehören da nicht rein. Da gehört ein Feuerzeug rein, weil da Kerzen angemacht werden, für die Toten.“ Mit ihrer simplen Direktheit treibt Dedreux den Lesenden Nägel in den Kopf. Über schwarze Menschen in Südafrika: „Die hatten keine Menschenrechte. Da war es auch nicht so inklusiv gemacht.“ Auf der Safari sah sie, „wie zwei Giraffen sich verknotet haben“ – ein Weltklasseblog. 

("Die Presse Schaufenster" vom 29.04.2022)

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