Kunsthalle Wien

Delphine Seyrig: "Widerständige Muse", lang vor #MeToo

Delphine Seyrig und Ioana Wieder.
Delphine Seyrig und Ioana Wieder.(c) Micha Dell-Prane
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Delphine Seyrig, ein Star des französischen Kunstkinos, attackierte das patriarchale System auch als feministische Videokünstlerin.

„Meine Hände zittern und ich bin angespannt, weil ich zu viel zu sagen habe, ich fließe schon über davon. Viele Frauen haben dieses randvolle Gefühl in sich“, sagte die französische Feministin und Schauspielerin Delphine Seyrig. Man kennt sie aus Klassikern des Kunstkinos, von Alain Resnais („Letztes Jahr in Marienbad“) und Chantal Akerman („Jeanne Dielman“). Ihr eigenes künstlerisches Wirken übersteigt ihre glamouröse Leinwandpräsenz aber bei Weitem.

1974 startete Seyrig mit Carole Roussopoulos und Ioana Wieder das feministisches Videokunst-Kollektiv „Les Insoumuses“. Mittels der damals neuen Videotechnologie bliesen sie gemeinsam mit anderen (u. a. Etel Adnan, Ulrike Ottinger) zum Generalangriff aufs Patriarchat. Die Ergebnisse dieses kollektiven Kampfs sind Videos, die trotz Bildrauschens nichts von ihrer Dringlichkeit verloren haben. Was auf den ersten Blick wie ein historisches Nischenthema erscheint, entpuppt sich als enorm zeitgemäß. Denn die Videos und Dokumente befassen sich nicht nur mit feministischer Arbeit an sich, sondern auch mit deren Verbindung zur heutigen Medienrealität. Man spürt ihre Wut in die Gegenwart dröhnen und begreift, dass die Videotechnologie damals eine ähnliche Funktion einnahm wie heute Twitter oder andere soziale Medien: Die erschwinglichen Videokameras waren für Künstlerinnen Instrumente der Aneignung und Demokratisierung von Kommunikationskanälen, die bis dahin einigen (vorwiegend männlichen) wenigen vorbehalten waren.

Die laufende Kamera: Ein Stück Freiheit

Parallelen zu heutigen feministischen Bewegungen sind von den Kuratorinnen intendiert. Seyrig wird bewusst mit jenen Frauen verglichen, die sich seit 2017 unter dem Schlagwort #MeToo gegen den Sexismus der Filmbranche wehren. Dabei geht die subversive Arbeit der Insoumuses darüber hinaus: Ihr Schaffen, das sich auch aus Unzufriedenheit mit den passiven Frauenrollen im Kino speiste, öffnete sich auch für verdrängte (nicht nur weibliche) Lebensrealitäten. Ein Video wie „Die Prostituierten aus Lyon sprechen“ gibt Sexarbeiterinnen eine Stimme: Die Frauen berichten auf Augenhöhe aus ihrem Leben, man spürt, dass die laufende Kamera für sie ein Stück Freiheit bedeutet. Das gilt auch für Dokus über die Schwulenbewegung, die Anti-Psychiatrie-Bewegung oder die Kämpfe für das Recht auf Abtreibung. Im Übrigen kann man sich wundern, dass diese Videos nicht im Kino gezeigt werden: Ein Film wie „Maso and Miso vont en bateau“ muss sich hinter Großtaten der Polit-Filmgeschichte nicht verstecken. Im Ausstellungskontext hallen die Stimmen wütender Frauen indessen durch den musealen Raum, als wären sie bereits vergangen.

Am Ende wird Seyrigs „Pour mémoire“ gezeigt, ein Film über die Beerdigung Simone de Beauvoirs – der Leitfigur der Bewegung und Namensgeberin des 1982 gegründeten Centre audiovisuel Simone de Beauvoir. Eine Institution ganz im Sinn der Widerständigen Musen: Sie archiviert und fördert die feministische Gegenkraft.

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