Kommentar

Amber und Johnny: Was Klatsch ist, soll auch Klatsch heißen

´Black Mass´ - Virgin Atlantic Gala - BFI London Film Festival
´Black Mass´ - Virgin Atlantic Gala - BFI London Film Festival(c) John Phillips
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Das Interesse an Amber Heard und Johnny Depp ist nicht gesellschaftspolitisch, sondern schadenfreudig.

Man erkennt sie an den angespannten Kiefern, der hastigen, abwehrenden Gestik, an den geröteten Gesichtern, ja vielleicht war da gar eine Träne. Sie sind bestimmt auch schon einmal an einem streitenden Paar auf der Straße, im Restaurant oder im Supermarkt vorbeispaziert. Haben Sie sich selbst dabei beobachtet, wie sie langsamer werden, sich plötzlich ganz zufällig für den Verkaufsstand direkt daneben, das schöne Hemd in der Auslage dahinter interessieren und dabei den einen oder anderen Wortfetzen aufschnappen? Neugier ist eine zutiefst menschliche Eigenschaft und wird auch noch beschönigend so bezeichnet, wenn sie schon längst in Voyeurismus abgeglitten ist. Oder kurzerhand überhaupt seine vermeintliche Unschuld abgestreift hat und sich als Schadenfreude entpuppt. Und nichts anderes eint gerade die Weltöffentlichkeit im Fall Heard gegen Depp.

Als globalisiertes Erlebnis kommt diese menschlichste aller Tugenden bei im Fernsehen übertragenen Gerichtsverhandlungen häufiger zutage. Das ist in einigen Gerichtssälen der USA möglich, und die Praktik wird mit dem Recht auf Information, das auf Verfassungsrang steht, verteidigt. Transparente Verfahren würden die Integrität der Justiz stärken. Kritische Stimmen bemängeln unter anderem den psychischen Stress, unter dem die Zeuginnen sowie die Richter stehen, die Schwierigkeit, bei einem erneuten Verfahren eine unbefangene Jury zusammenzustellen, Opferschutz und das zirkusgleiche Spektakel, zu dem Verhandlungen verzerrt werden. Überhaupt sind viele Richter seit dem öffentlichen Verfahren gegen O.J. Simpson und der darauffolgenden Kritik gegen Richter Lance Allan Ito, zögerlicher einen im Fernsehen übertragenen Prozess zuzulassen.

Nun hat man allerdings wieder Gelegenheit, sich sein eigenes Bild von der demokratiefördernden Wirkung solcher Schauprozesse zu machen, im Fall Amber Heard vs. Johnny Depp. Egal, wie dieser Fall ausgehen wird, verloren haben sie beide jetzt schon. Die Karriere beider Prominenten dürfte sich nur schwer von diesem Spektakel erholen. Die Öffentlichkeit dafür hat gleich auf mehreren Ebenen Gelegenheit, sich an dem Rosenkrieg zu weiden. 

Fankultur im und außerhalb des Gerichtssaals

Direkt vor Ort, kann man sich frühmorgens in die Schlangen der „Stans“ einordnen, die dem Prozess beiwohnen und mehrheitlich Johnny Depp mit Plakaten begrüßen. „Stan" ist ein besonders nettes Kofferwort aus den Begriffen „Stalker“ und „Fan“, das seit Eminems gleichnamigen Hit über einen übereifrigen Fan gern für Menschen verwendet wird, die ihr Leben nach dem fernen Idol auszurichten scheinen.

In sozialen Medien findet man gleichgesinnte beider Lager - wenn auch nicht zahlenmäßig ausgewogen, denn Johnny Depp hat eine sehr viele breite Fangemeinde hinter sich versammelt - unter den Hashtags #justiceforjohnny und #justiceforamber. Entscheidet man sich, diesen Weg zu gehen, muss man sich für menschliche Abgründe wappnen. Auf Tiktok kursieren tausende Videos, die Aussagen und Gefühlsausbrüche beide Stars vor Gericht genüsslich durch den Dreck ziehen und Lügen strafen. Das Interesse ist so groß, dass auch jedes halbwegs vernünftige Medium nicht umhinkommt darüber zu berichten.

Dabei ist häusliche Gewalt ein verbreitetes Problem, das ernstgenommen, diskutiert und bekämpft werden muss und auch die häufig misogyne mediale Darstellung weiblicher Stars ist berichtenswert. In der Post-Me-Too-Ära werden diese Diskurse aber allzu freizügig einem Artikel als Mascherl umgehängt. Wer sie nämlich als Rechtfertigung vorschiebt, noch den zehnten Artikel oder das 20. Video über Heards Tränen oder Depps Kopfschütteln anzuklicken, ist scheinheilig. Was Klatsch ist, soll auch Klatsch heißen, denn das öffentliche Interesse an Heard und Depp gründet in allgemeinen Lust am Spektakel und Schadenfreude gegenüber gefallener Idole. Menschlich ist das alle mal und salonfähig anscheinend immer noch, rühmlich wohl kaum.

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