Die Ukraine hat beste Siegeschancen beim heurigen Song Contest. Nur ein Gesangswettbewerb? Ein Statut will es verhindern, aber de facto spielt die Politik seit 1968 in den ESC hinein. Seither spiegeln sich allerlei Konflikte noch in den profansten Liedern.
Der heurige Eurovision Song Contest steht wie niemals zuvor unter politischen Vorzeichen. Russland wurde wegen seiner Invasion in der Ukraine vorsorglich disqualifiziert. Nun gilt die überfallene Ukraine als Favorit. Und zwar so krass, dass manche anzweifeln, dass es sich heuer beim ESC überhaupt um einen Wettbewerb handelt. Die ausführenden Künstler, das Kalush Orchestra, wollten zunächst nicht anreisen, sondern bloß ein Video schicken. Das Lied „Stefania“, das zeitgenössischen Hip-Hop und traditionelle Folkmelodie mischt, ist nur vordergründig eine Liebeserklärung an eine Mutter. Es ist auch ein unzureichend verklausulierter Appell ans Nationalbewusstsein. Rapper Oleh Psjuk, ein Mann mit einem Faible für rosa Häkelhauben, hat mittlerweile eine Sondererlaubnis, das Land temporär zu verlassen, und ist in Turin angekommen. „Wir haben eine besondere Mission“, gab er sich bei seiner Ankunft bedeutungsschwer.
Und doch kann er nur passiv-aggressiv agieren. Lieder können Waffen leider nicht wirklich Paroli bieten. Was leicht geht, ist, dass schwelende Konflikte ihre symbolische Fortführung im Lied finden. Das hat sogar Tradition.