Glaubensfrage

Putins polternder Patriarch

Was Kyrill zum Krieg sagt, ist unverständlich oder falsch, klingt mehr nach Machtpolitik als Christentum. Die EU sollte trotzdem Sanktionen überdenken.

Mit Schweigen reagiert die russisch-orthodoxe Kirche Österreichs unter Bischof Aleksij. In den ersten Tagen von Wladimir Putins Krieg gegen die Ukraine hat auch der Moskauer Patriarch geschwiegen. Hätte er es nur dabei belassen.

Dann hat Kyrill immer deutlicher und schriller das militärische Vorgehen der russischen Armee gegen das benachbarte „Bruderland“ verteidigt, geradezu verklärt. Soll der 75-jährige Kirchenmann aber deshalb auf die Liste einer neuen Sanktionsrunde der EU? Brüssel will genau das. Kyrill soll nicht mehr reisen und über Vermögen im Ausland verfügen dürfen. Vier Milliarden Dollar soll sein aus früherem Handel mit Öl und Zigaretten gespeistes Vermögen schwer sein. Für einen Bischof und Mönch wäre das dann doch beachtlich.

Trotzdem, die EU sollte die Für und Wider noch einmal bedenken und gegeneinander abwägen – ohne deshalb als „Kyrill-Versteher“ denunziert zu werden. Realpolitische Notwendigkeiten lassen es geboten erscheinen, zu überlegen, was Sanktionen gegen Kyrill bewirken. Und welche Nebenwirkungen sie haben. In Russland selbst wird ein solches Vorgehen gegen das geistliche Oberhaupt des Landes von einer breiten Mehrheit als feindlicher Akt des Westens verstanden werden. Die EU wiederum muss achtgeben, in der Reaktion auf russische Aggressionen den eigenen Rechts- und Wertekanon nicht zu verletzen. Stichwort: Religionsfreiheit. Ein Religionsführer ist nun einmal kein Politiker, selbst wenn er wie ein solcher agiert oder agitiert.

Als unbestritten muss gelten, dass Aussagen des Moskauer Patriarchen zum Krieg gegen die Ukraine für einen höchsten christlichen Amtsträger ungewöhnlich sind. Mehr noch, sie sind (nicht nur, aber besonders) im 21. Jahrhundert eines Kirchenoberhauptes unwürdig. Den russischen Militäreinsatz als „metaphysischen Kampf“ des Guten gegen das Böse aus dem Westen darzustellen, ist theologisch wie rational schwer vermittelbar.

Seine jüngste Wortmeldung widerspricht schlicht den Fakten. „Wir wollen gegen niemanden Krieg führen, Russland hat nie jemanden angegriffen“, meinte das Kirchenoberhaupt. Das Land habe stets nur seine Grenzen verteidigt. Für Kyrill gehört zum „Land“, zu Russland, offenbar die Ukraine, egal, was das Völkerrecht bestimmt.

Nicht umsonst ist es 2018/2019 zum Bruch in der Orthodoxie gekommen, als Kyrill sich weigerte, die ukrainisch-orthodoxe Kirche als von Moskau autonom anzuerkennen. Seither herrscht Eiszeit, die in das ökumenische Vorzeigeland Österreich wirkt. Die russisch-orthodoxen Vertreter fehlen nun bei allen Treffen, zu dem auch ukrainisch-orthodoxe Amtsträger kommen oder kommen könnten. Lange her, dass Tertullian über Christen schreiben konnte: Seht, wie sie einander lieben.

dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.05.2022)

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