Verländerung: "Junglehrer müssten Bauchkrämpfe kriegen"

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bdquoJunglehrer muessten Bauchkraempfe kriegenldquo(c) Clemens Fabry
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Im Lehrerkollegium am Gymnasium Ringstraße in Krems geht die Angst um. Das hat nicht nur mit den Plänen der ÖVP zu tun, die Bundesschulen den Ländern zu überantworten. Ein Besuch im Konferenzzimmer.

Krems. Die Atmosphäre in der Schule ist so gelöst an diesem Novembervormittag, als wäre nichts geschehen in den letzten Tagen und Jahren; als wäre Österreich ein Musterschüler beim PISA-Test und der Lehrer noch immer eine Instanz, die uneingeschränktes Ansehen genießt in der Gesellschaft.

Die Lautsprecher am Bundesrealgymnasium Ringstraße in Krems haben soeben die große Pause angekündigt, und deshalb gibt sich die Mehrheit der 800 Schüler einem wilden Treiben auf den Gängen hin, bei dem es vielleicht um Pausenbrote geht oder die erste Freundin. Den Lärmpegel als hoch zu bezeichnen, käme einer Untertreibung gleich.

Mittendrin dreht der Hausherr seine Runden, ein groß gewachsener Mann Mitte 50 in Jeans und Hemd, dessen Rolle eine Mischung aus Bildungs- und Zirkusdirektor ist. Ein Lehrer will von ihm wissen, wie Bilderrahmen in Klassen dem Gesetz nach beschaffen sein müssen, eine Mutter bittet um ein Vieraugengespräch, ein Bub entschuldigt sich, weil er Unterlagen zu Hause vergessen hat. Und die Nachrichten verheißen sowieso nichts Gutes.

Beim PISA-Test, dessen Ergebnisse im Dezember präsentiert werden, sollen die österreichischen Schüler erneut schlecht abgeschnitten haben, schlechter noch als letztes Mal. Und jetzt fordert das ganze Land wieder Reformen ein, besser heute als morgen, so steht es in den Zeitungen. „Wissen Sie“, sagt Herbert Kefeder, „aber mit uns Lehrern redet niemand, schon gar nicht die Politik.“

Den Landeshauptmann wird man hier auch vergeblich suchen, er ist weder körperlich anwesend noch in gerahmter Form. Bilder von Erwin Pröll haben hier keinen Platz, an den Wänden der Klassenzimmer hängt anderes: Tafeln natürlich und Kreuze, Stundenpläne vielleicht und Poster von Teenie-Stars. Das könnte sich bald ändern. Denn die ÖVP will die Bundesschulen den Ländern überantworten und damit auch die Personalhoheit.

Der Politik „hoffnungslos ausgeliefert“

Angesichts dessen geht die Angst um im Kollegium des BRG Ringstraße, und wahrscheinlich nicht nur dort. „Es ist ein Wunschtraum, dass die Länder dann nur die Ziele umsetzen, die der Bund vorgibt“, sagt der Direktor. „In der Realität würde das zu neun verschiedenen Bildungssystemen führen.“ Wolfgang Schüpany, 54, Schuladministrator und Französisch-Professor, geht noch weiter: „Das wäre der reine Horror. Wir wären der politischen Willkür hoffnungslos ausgeliefert. Jetzt ist das Ministerium wenigstens noch eine Art Pufferzone.“

Es ist Schwarzmalerei, im wahrsten Wortsinn, was die beiden Herren betreiben: Schimmstenfalls könnte dieser Plan in Niederösterreich dazu führen, dass nur mehr Lehrer mit ÖVP-Parteibuch einen Job bekommen. „Eigentlich“, sagt Schüpany, „müssten Junglehrer Bauchkrämpfe kriegen.“ Doch dazu braucht es nicht einmal Erwin Pröll. Die „Professoren“ sind auch so verunsichert und frustriert; sie fühlen sich alleingelassen von der Gesellschaft, besonders die jungen.

Von der Direktion sind es nur ein paar Schritte ins Konferenzzimmer, das einer Legebatterie für Menschen ähnelt. Ein Arbeitsinspektor soll einmal – halb feixend, halb ernst – gemeint haben, dass es sich in seiner Beschaffenheit auch als Tiertransporter eignen würde. Die Tische sind zusammengepfercht; voll mit Büchern und Heften und Zetteln und Stiften. Mehr als 60 Lehrer teilen sich fünf Computer; bei Besprechungen können Lehramtspraktikanten von Glück reden, wenn sie irgendwo noch einen Platz finden.

Elisabeth Herrera-Asencio, 24 Jahre jung, hat seit diesem Schuljahr einen eigenen, vierte Reihe Mitte. Sie unterrichtet Englisch, ein Korrekturfach, das also viel Arbeit macht und Sorgen. Eine Mutter habe sie gebeten, die Kreativität ihres Sohnes zu fördern, weil der Bub doch so talentiert sei beim Schreiben. Andererseits komme jetzt die Zentralmatura, ein standardisierter Test, der Kreativität und Sprachwitz schlecht werde messen können.

Als Lehrer, sagt Herrera-Asencio, sei man ständig im Brennpunkt zwischen Schülern, Eltern, Politik und der eigenen Meinung. Da würden sich fast zwangsläufig innere Konflikte ergeben. „Ich überlege mir ernsthaft, ob ich nebenbei noch eine Zusatzausbildung beginnen soll. Denn ich weiß nicht, ob ich mit 50 noch die Kraft dafür habe, Lehrer zu sein.“

Auffällig bis schwer depressiv

Die Zeiten sind schwerer geworden. Zu vieles übertrage die Gesellschaft mittlerweile der Schule, klagt Direktor Kefeder. Und die Zahl der Kinder mit seelischen Störungen nehme stetig zu: „Wir haben die ganze Bandbreite: von auffälligen bis hin zu schwer depressiven Schülern.“ Viele Gründe habe diese Entwicklung: Die Eltern hätten zu wenig Zeit, der Leistungsdruck steige – nicht nur in der Schule, auch daheim. Viele würden ins Gymnasium gedrängt, obwohl sie nicht geeignet seien.

Und manchmal bleibe die Problemlösung einfach dem Zufall überlassen: Einer depressiven Schülerin, die vom Vater tyrannisiert werde, könne nur geholfen werden, weil sich ein Lehrerkollege gerade zum Psychotherapeuten ausbilden lasse. „Einen Schulpsychologen“, gesteht Kefeder, „können wir uns nicht leisten. Und im ganzen Bezirk gibt es nur einen.“

Natürlich, sagt der Direktor, und das sagen auch alle Lehrer an dieser Schule, seien Reformen dringend nötig – das zeigten allein schon die PISA-Resultate. Vielleicht brauche es mehr Wahl- als Pflichtfächer, vielleicht Nachmittagsbetreuung. Mehr Geld, das brauche es jedenfalls. Und eine praxisnähere Ausbildung der Lehrer, die gleich am Beginn die Ungeeigneten aussiebe. Derzeit, so hört man, hat der eine oder andere Professor regelrecht Angst, wenn er eine vierte Klasse betritt.

Der Frust der Pädagogen hat aber auch andere Gründe – politische, wenn man so will. Die Stundenkürzungen unter Ministerin Elisabeth Gehrer bedeuten seit 2003 weniger Arbeit für die Schüler und mehr für die Lehrer. Die versuchte Arbeitszeitverlängerung unter Claudia Schmied im Vorjahr tat ihr Übriges. „Es wurde alles darangesetzt, die Autorität der Lehrer zu untergraben“, sagt Deutsch- und Französisch-Professorin Bettina Redl.

Dabei arbeite sie mehr, als gemeinhin vermutet: 40, 50 Stunden die Woche. Korrekturen und Vorbereitungen würden viel Zeit in Anspruch nehmen, auf Kosten der eigenen Familie. „Ich stehe gern in der Klasse, aber diese gesellschaftliche Hetze ist manchmal nur schwer zu ertragen.“ Hätte sie eine Wahl, sagt Redl, „ich würde mir sehr, sehr gut überlegen, ob ich nochmals Lehrerin werde“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2010)

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