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Sympathie für Johnny Depp

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US-COURT-DEPP-HEARDAPA/AFP/POOL/JIM LO SCALZO
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Der Schauspieler hat die Medien auf seiner Seite. Nicht nur deshalb, weil er der große Hollywood-Star ist.

Der Verleumdungsprozess zwischen Johnny Depp und Amber Heard offenbart einmal mehr ein Phänomen, das jeder von uns nur allzu gut kennt – die Tendenz, der ersten Version einer Geschichte mehr Glauben zu schenken als der zweiten. So bekommt beispielsweise zumeist die Person mehr Mitgefühl, die sich nach einem Beziehungsstreit als Erstes an gemeinsame Freunde wendet und Trost bei ihnen sucht.

Denn ihre Ausführung der Geschehnisse ist die ungefilterte, die mit mehr Impact. Die Sichtweise der zweiten beteiligten Person wird schon unter dem Eindruck der ersten aufgenommen, sie wird eingeordnet und verliert schon während des Erzählens an Wirkung.

Zurück zum Prozess: Kaum jemandem dürfte entgangen sein, dass die Berichterstattung darüber eine Schlagseite zugunsten Johnny Depps hat. Dass er der Bekanntere von beiden ist und in „Chocolat“ mitgespielt hat, dürfte ebenso dazu beitragen wie die Tatsache, dass Frauen bei solchen Konflikten fast immer schlechter wegkommen als Männer – eines der vielen Merkmale einer patriarchalen und misogynen Gesellschaft.

Was aber ganz sicher auch eine Rolle spielt, ist der Umstand, dass Depps Seite mit der Beweisführung beginnen durfte. Sämtliche Zeugen wurden bisher von seinen Anwälten aufgerufen und sagten für ihn aus. Erst Ende vergangener Woche begann die Beweisführung von Amber Heards Anwälten mit ihrer emotionalen Einvernahme, die in manchen Medien lächerlich gemacht wurde.

Journalisten tappen im Übrigen häufig in diese Falle. Und folgen bei ihrer Recherche unbewusst dem Narrativ ihres Informanten, der sie auf eine Story hinweist. Umso wichtiger ist das ständige Vor-Augen-Führen des Grundsatzes Audiatur et altera pars – also das Gebot, sich stets auch die andere Seite mit der gleichen Aufmerksamkeit und Unvoreingenommenheit anzuhören.

Eine Regel, die eigentlich immer gelten sollte, wenn es darum geht, sich eine Meinung zu bilden und eine Entscheidung zu treffen. Zwar wird dadurch der Weg dorthin erschwert, aber so ist das nun einmal mit Ansprüchen, denen nicht jeder gerecht werden kann.

E-Mails an: koeksal.baltaci@diepresse.com

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