Die Rakete vom Typ Kinschal fügte der südukrainischen Hafenstadt schwere Schäden zu. Seit Sonntag intensiviert Russland die Angriffe auch während des Besuchs von EU-Ratspräsident Michel. Will Russland tatsächlich bis nach Odessa vordringen?
Schon zu Beginn des Krieges in der Ukraine hat sie ihr unrühmliches Kampfdebüt. Nun hat sie laut ukrainischem Militär wieder Zerstörung angerichtet. Die russische Hyperschallrakete vom Typ Kinschal soll am späten Montag bzw. in der Nacht auf Dienstag Gebäude in der südukrainischen Hafenstadt Odessa getroffen haben. Die Rakete hat eine konventionelle Nutzlast von bis zu 480 Kilogramm und ist eine Luft-Boden-Rakete, wird also von einem Flugzeug aus gestartet. Sie kann mit einem Nukleargefechtskopf oder einem rund 500 kg wiegenden Splittergefechtskopf ausgerüstet werden
Am Montagabend hatte die russische Luftwaffe nach Darstellung des ukrainischen Militärs mehrere Hyperschallraketen auf Odessa abgefeuert. Dabei seien auch "touristische Objekte" getroffen und mindestens fünf Gebäude zerstört worden, berichtete die "Ukrajinska Prawda".
"Der Feind hält seinen psychologischen Druck aufrecht und setzt seine hysterischen Attacken gegen friedliche Zivilisten und die zivile Infrastruktur fort", hieß es. Odessa wurde am Abend von zahlreichen Explosionen erschüttert, die sowohl auf Raketeneinschläge als auch die Luftabwehr zurückzuführen waren. Nach Medienberichten wurden unter anderem ein Einkaufszentrum und ein Warenlager getroffen. Ein Mensch ist ums Leben gekommen, fünf weitere wurden verletzt. Das berichtete die Agentur Unian unter Berufung auf die örtliche Militärführung.
Die Einschläge verursachten erhebliche Schäden, und Bilder aus der Stadt zeigen massive Verwüstungen. Ein Raketeneinschlag im Stadtteil Suworow setzte nach Angaben ukrainischer Behörden drei Lagerhäuser mit einer Gesamtfläche von 1200 Quadratmetern in Brand, wovon eindrucksvolle Bilder des örtlichen Zivilschutzes zeugen.
Odessa und Transnistrien
Die Hafenstadt Odessa im Süden der Ukraine ist schon seit Sonntagabend Ziel verstärkter russischer Raketenangriffe. Am Montagnachmittag schlugen während eines Besuchs von EU-Ratspräsident Charles Michel mehrere Raketen in der Region ein. Michel und der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal mussten deswegen Schutz suchen. Damit zeige Russland seine wahre Haltung gegenüber Europa, kommentierte am Abend der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij.
Odessa ist nicht nur wegen seiner Lage am Schwarzen Meer strategisch von Bedeutung. Die Stadt könnte für Russland auch eine Brücke ins benachbarte Transnistrien sein, die abtrünnige moldauische Region. Der Experte Marcel Röthig hielt ein russisches Eingreifen in der Ukraine von Transnistrien aus allerdings für unwahrscheinlich. Weil es in der abtrünnigen moldauischen Region kein funktionierendes Flugfeld gebe, können die dortigen russischen Truppen nur das einsetzen, "was sie dort haben, und das ist 30 Jahre alt", sagte der Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kiew vor einigen Wochen im Interview mit der Austria Presse-Agentur. Das reiche nur, "um die Ukrainer zu stören", erwartet Röthig allenfalls ein "Strohfeuer".
"Es geht darum, dass man ukrainische Kräfte im Süden bindet", sagte Röthig unter Verweis auf die "begrenzte Offensive" der Ukraine im Süden des Landes. Eine Bedrohung der strategisch wichtigen Hafenstadt Odessa sieht er nicht. Deren Einnahme durch die russische Armee und die Herstellung einer Landverbindung nach Transnistrien sei in der jetzigen Phase "ausgeschlossen". Vielmehr gebe es Anzeichen dafür, dass die russische Offensive bald zum Erliegen kommen könnte.
Biden will Lösung finden
Nach den Worten von US-Präsident Joe Biden sieht der russische Staatschef Wladimir Putin keinen Ausweg aus dem Ukraine-Krieg. Das Problem, das ihn jetzt beunruhige, sei, dass der russische Staatschef "im Moment keinen Ausweg weiß, und ich versuche herauszufinden, was wir dagegen tun können", sagte Biden indes. Putin sei ein sehr überlegter Mann und habe fälschlicherweise geglaubt, der Einmarsch in die Ukraine würde die Nato und die Europäische Union spalten.
In dem von russischen Truppen belagerten Asowstal-Werk in der Hafenstadt Mariupol sollen sich unterdessen noch immer etwa 100 Zivilisten aufhalten. Zudem hielten sich immer noch rund 100.000 Menschen in der schwer zerstörten Stadt auf, sagte der regionale Verwaltungschef Pawlo Kyrylenko am Montagabend. "Schwer zu sagen, wer von ihnen die Stadt verlassen will", wurde er von der "Ukrajinska Prawda" zitiert.
Ukrainische Truppen haben sich im Stahlwerk verschanzt, der letzten Bastion in Mariupol. In den vergangenen Tagen wurden von dort mithilfe der Vereinten Nationen und des Roten Kreuzes mehrere hundert Frauen, Kinder und ältere Menschen evakuiert. Die Verteidiger von Asowstal wollten aber nicht ausschließen, dass sich noch Zivilisten in einigen Kellern des weitläufigen Geländes aufhielten.
(APA/dpa/Reuters/Red.)