Die ukrainische Schriftstellerin Oksana Sabuschko zieht eine direkte Linie von den Hauptwerken der russischer Literatur zum Massaker von Butscha – und trifft auf kaum Kritik.
Die russische Literatur? Man liege ganz falsch, wenn man sie „noch immer für europäisch und humanistisch“ hält. In Wirklichkeit habe sie „200 Jahre lang ein Weltbild genährt, in dem man den Verbrecher nicht verurteilt, sondern bedauert“. Tolstoi, Dostojewski, Turgenjew: alles durchsetzt von „kindisch-passiver Unempfindlichkeit gegenüber dem Bösen“. So seien wir „zurzeit Augenzeugen davon, wie die Wahl der Lektüre das Schicksal von Millionen beeinflusst“: Der „Weg der Bomben und Panzer“ werde „von Büchern geebnet“.
Die solches sagt, hat etwas zu sagen in der Ukraine. Oksana Sabuschko ist eine bedeutende Schriftstellerin und Lyrikerin, ihre Bücher werden übersetzt, ihre Essays finden Gehör. Früher war sie Vizepräsidentin des ukrainischen Pen-Clubs, der Anfang März zu einem „totalen Boykott“ russischer Literatur aufgerufen hat. Ihre hasserfüllte Abrechnung hat die 61-jährige Intellektuelle erst im „Literary Supplement“ der „Times“ platziert, dann in „La Repubblica“ und in der „Neuen Zürcher“. In Italien gab es keine einzige kritische Reaktion, in Großbritannien blieb es beim Leserbrief einer US-Slawistin. Einzig im deutschsprachigen Raum stößt die Polemik auf ein wenig Widerstand.