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Meine Notizbuchpolitik

Der Eigensinn gebietet manchen Reiseautoren, bei ihren kleinen, dreckigen Kladden zu bleiben.
Der Eigensinn gebietet manchen Reiseautoren, bei ihren kleinen, dreckigen Kladden zu bleiben.Amanshauser
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Moleskine-Notizbücher? Worauf soll man denn schreiben? Gilt Handschrift überhaupt noch?

Ich betreibe einen Stehkalender. Manchmal pack’ ich ihn aus. Die Leute blicken mich seltsam an: Ob die Kalenderfunktion meines Mobiltelefons kaputt sei? Nein, sage ich, ich hab’ ja auch ein kariertes Notizbuch dabei. „Was schreibst du denn da hinein?“, ­fragen sie. Ins Notizbuch schreib’ ich Notizen, antworte ich, ich weiß eh, es gibt super Notizen-Apps, aber habt ihr denn alle so wenige, rein digitale Ideen, so wenig, rein digitalen Notizbedarf?


An diesem Punkt finden mich meine Gesprächspartner irgendwie interessant. Ein fremdes Tier! Einer fragte mich, wieso ich ein dermaßen „durchschnittliches, schmutziges“ Notizbuch führte, eine stinknormale China-Kladde, und nicht vielmehr ein cooles Moleskine. Ihm legte ich meine Notizbuchpolitik dar, die da lautet: Weniger ist mehr, cool ist uncool.

Der Reiseschriftsteller Bruce Chatwin (1940–89) beschrieb jene Notizbücher, die Generationen von Künstlerinnen und Künstlern seit dem 19. Jahrhundert vollgeschrieben und vollgezeichnet ­hatten, in seinem Australien-Aborigines-Roman „The Songlines“ (1987) ziemlich exakt als „black, oilcloth-covered notebook, its pages held in place with an elastic band“. Er beziehe sie aus Paris, „but now they don’t make them anymore“. Ein eigenes Wort für die legendären Kladden erfand er auch, „carnet moleskin“, Maulwurfshaut ­beziehungsweise -fell, der Begriff für Englischleder oder Pilotstoff, ein auch in der Buchbinderei verwendeter beschichteter Baumwollstoff.


Diese Textstelle lasen findige italienische Geschäftsleute, fügten ein Italo-e hinzu und ließen ab 1997 in Mailand Moleskine-Notizbücher mit den charakteristischen abgerundeten Ecken drucken. Der Werbespruch: „Das Büchlein, das Matisse, Picasso und Hemingway vollkritzelten.“ Moleskine hatte wenig Ambition, einfach nur Qualität zu produzieren, inzwischen werden deren Waren großteils in China hergestellt; das Konzept forderte ein überteuertes Designerprodukt für kunstschwärmende Snobs. Mir kam das immer vor wie übersüßter Eierlikör mit Zuckerzusatz. Daher blieb ich bei der schmutzigen China-Kladde und dem Stehkalender. 

("Die Presse Schaufenster" vom 06.05.2022)

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