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Ein Finale mit "The Rasmus"? Der Song Contest kann eben doch noch überraschen

"The Rasmus" schnuppern Song-Contest-Luft für Finnland.
"The Rasmus" schnuppern Song-Contest-Luft für Finnland.APA/AFP/MARCO BERTORELLO
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Ein Halbfinale, das mit „The Rasmus“ aus Finnland eröffnet, kann keine schlechte Show werden. Und das bisschen Trash und Belanglose, das sich ins Programm schummelt, nimmt man schmunzelnd zur Kenntnis. Hauptsache Händewaschen mit Serbien!

Warum schaut man sich das zweite Halbfinale für den Eurovision Song Contest an? Wenn Österreich schon im ersten dabei war - und ohnehin gescheitert ist? Man darf doch noch auf gute Musik hoffen! Und man wurde auch in dem zweiten Halbfinale in Turin gar nicht enttäuscht. Und keine Sorge, ein paar - sagen wir einmal - „spezielle" Momente gab es auch. Es hat sich also durchaus ausgezahlt, wieder einzuschalten.

Schonungslose Kritik, bitte sehr: Zypern war langweilig, Irland total vorhersehbar, Nordmazedonien gar anstrengend, Rumänien ein Fall für ESC-Trash-Fans. Offenbar gibt es derer doch noch einige, denn es hat sogar für den Finaleinzug gereicht.

Aber ansonsten? Eine Show, die mit „The Rasmus“ aus Finnland eröffnet, kann keine schlechte Show werden. Das hatte Rockkonzert-Charakter, Profis eben. Israel machte darauf hin mit einer gehörigen Portion Energie Stimmung - und sorgte später, nachdem alle 18 Länder ihren Beitrag gesungen hatten, für einen der schönen ESC-Momente, als Sänger Michael Ben David sich penetrant zum Moderatoren-Trio gesellte und gehörig Unruhe stiftete. Hätte jetzt nicht sein müssen, war aber unterhaltsam. Hat aber vielleicht das Finalticket gekostet...

Und so ging es dahin. Wir lernten Händewaschen mit Serbien, sahen Fritz Phantom am georgischen Schlagzeug, das kürzeste Pseudo-Klavierspiel der ESC-Geschichte bei Malta, ritten Rodeobullen im transparenten Glitzer-Onesie mit San Marino, schluchzten mit Sheldon Riley aus Australien beim dramatischen Entfernen seines Glasperlen-Schleiers. Und dann kam Zypern, siehe Absatz zwei.

Schweden setzt ein Ausrufezeichen

Ob jetzt das zweite oder das erste Halbfinale das bessere war, das ist wohl eine Frage des Geschmacks. Aber Schweden mit Startnummer 17 zeigte dann den restlichen Finalisten noch einmal, wie hoch die Trauben hängen. Cornelia Jakobs präsentierte ihren wunderbaren Song „Hold Me Closer“ derart unprätentiös, barfuß, mit spannender Stimme. Dieser Pop-Sound, der stark und kratzig-zerbrechlich gleichzeitig daherkommt, ist eben gefragt. Den ukrainischen Beitrag würden wir, sofern er dann überhaupt gewinnt, nur einmal, Sonntagfrüh, noch im Radio hören. Schweden wird uns (zumindest auf Ö3 und Co) ein wenig erhalten bleiben.

Es ist insgesamt beachtlich, wie sehr sich der Song Contest in den letzten Jahren wirklich weiterentwickelt hat. Weil nicht mehr das Herausstechen aus der Masse oder ein Allen-gefallen-wollen der einzige Zugang ist, sondern wirklich spannende Vertreter ihrer Genres für ihr Land antreten. Niemand will zurück in die dunklen ESC-Jahre der Jahrtausendwende und Nullerjahre. Und da hat die „Class of 2022“ durchaus noch einmal ein Ausrufezeichen gesetzt.

Das Prozedere Halbfinali und Finali begleitet uns jetzt auch schon seit 2008 und es hat sich bewährt. Schlüssel dazu: relativ knackige Shows. Ein großer Vorteil - auch im Vergleich zum immer noch recht langen Finale. Mit dem sympathischen Moderatoren-Trio in Turin - Laura Pausini, Alessandro Cattelan und Mika - kann es aber dennoch ein charmanter Abend werden. Und sollte doch noch Fadesse aufkommen, kann man immer noch über Sinn und Unsinn des großen Bühnen-Wasserfalls philosophieren.

Im Finale am Samstag mit dabei

Belgien - Jérémie Makiese mit "Miss You"
James-Bond- bzw. “Rise-Like-A-Phoenix”-Streicher zu Beginn, gepaart mit einer coolen Stimme und einem wummernden Bass, der viel Platz für einen guten Beat lässt. Könnte auch eine Justin-Timberlake-Nummer sein. Falsett ist heuer offenbar hoch im Kurs. Aber klingt bei Jérémie Makiese immer gut, im Gegensatz zu den paar anderen hohen Stimmeinsätzen, die dann doch etwas gequält herauskommen, aber spannende Stimme.

Tschechische Republik - We Are Domi mit "Lights Off"
Eine Laser-Disko-Nummer aus Tschechien, die der Sängerin - im Gegensatz zu Österreich - aber genug Zeit zur Erholung und tiefe Strophen gibt. Dafür fehlt vielleicht etwas der Druck der guten Art, den so eine Nummer braucht. Und der Gitarrist bedient sein Instrument mit einem Bogen für Streicher, muss auch für etwas gut sein. 

Aserbaidschan - Nadir Rustamli mit "Fade To Black"
Mit leiser, heiserer Stimme gestartet, über einen Zwischenstopp bei beinahe klassischen Klängen landet Nadir Rustamli sogar kurz in rockigen Tönen. Die Klavier-Bewegungen klingen ein wenig nach der Musik der TV-Serie “Downton Abbey”. Und dann kommt eine Minute vor Ende noch die Bass-Drum (die große Schlagzeug-Trommel, die den tiefen Beat vorgibt) und hebt in Richtung Disco-Beat ab. Und Rustamli schraubt sich in lichte Falsetthöhen. Etwas viel auf einmal dann in den letzten Sekunden, inklusive Geschluchze.

Polen - Ochman mit "River"
Ochman singt mit eher dunkel-klassischem Timbre in den langgezogenen Oooohs und streut ein paar kratzig-poppige Klänge ein. Und dann gibt er sich im Refrain die volle Ladung Falsett, also diese hohe Stimme, die viele Sänger sogar weniger Anstrengung kostet, wenn man’s richtig macht. Aber er treibt seine Stimme schon wirklich an die Grenze des Machbaren, keine Frage. Auch auffallend: Das Lied wirkt so, als hätte es mehrere Grundrhythmen, der Beat ist nicht wirklich durchgehend, auch wenn sich das Tempo nicht wirklich ändert. Auch durch viele verschiedene Gesangsteile wirkt das Lied nicht wirklich als Einheit. Aber gute Gesangsperformance, definitiv.

Finnland - The Rasmus mit "Jezebel"
Genau so stellt man sich einen “Rasmus”-Song zwanzig Jahre nach ihrem großen Hit “In The Shadows” vor. Ähnlich, nur ein bisschen schlechter. In der Strophe würde man Sänger Lauri Ylönen fast Schwäche attestieren, im Refrain legte er wie gewohnt los, mit rockigem Timbre und diversen Stimmeffekten, die man aus dem Rock-Genre gewohnt ist. Es darf eben ein bisserl rauer klingen. Ungewohntes musikalisches Stilmittel: die zweite Strophe erklingt in einer anderen Tonart als die erste, im Refrain gehts zurück. Kein Wunder, dass der gelbe Regenmantel für die weitere, weitaus konventionellere Modulation, vom Körper gerissen wurde. Solider Pop-Rock-Auftakt der Show, die sich ihren Finalplatz verdient hat.

Estland - Stefan mit "Hope"
Die Johnny-Cash-Stimme wird mit einem Scheinbar-Alt-Filter über dem Livebild noch ins Klischeehafte verstärkt. Aber die Westerngitarren verdichten sich mit einem treibenden Schlagzeugbeat zu einer tanzbaren Nummer. Die Gitarre hängt allzu bald nur noch am Rücken von Stefan. Im Refrain wird man schon aufgefordert mitzusingen, während Stefan versucht, im Laufschritt von einem Mikrofon auf der Bühne zum nächsten auf der Vorderbühne vor dem Wasserfall zu kommen. Der Rest der Stimmen kommt vom Backingtrack (oder den Backgroundsängern).

Australien - Sheldon Riley mit "Not The Same"
Eine emotionale Geschichte aus dem eigenen Leben in eine extravagante Show mehrmals gleich gut auf die Bühne zu bringen - das ist die Aufgabe des jungen Australiers. Sheldon Riley beeindruckt jedenfalls mit dramatischer Stimme und dunklem Timbre, die er auch in den Höhen bestens beherrscht. Kleine Verzierungen, die an arabische Melismen erinnern, tummeln sich in all seinen Linien. Stimmlich sicher eine der besten Performances des Abends, insgesamt vielleicht etwas gar düster und dramatisch. Glitzerperlen-Gesichtsschleier...

Schweden - Cornelia Jakobs mit "Hold Me Closer"
Das suchen Pop-Produzenten heutzutage. Eine scheinbar zerbrechliche Stimme mit Charakter und Stärke. Achten Sie einmal auf das ständige Nebengeräusch, mit dem Cornelia Jakobs vor allem in den späteren Refrains singt. Das nennt man “Creaking” (unter anderem), und ist oft eine Art Geräusch-Nebenprodukt, wenn man eigentlich etwas “zu faul” singt. Aber ist total in. Kann man natürlich auch kontrollieren lernen. Und dann noch die Coolness, mit der Jakobs wie nach einer durchzechten Nacht locker und unprätentiös ganz bei sich scheint und über die Bühne schlurft und wankt und in die Kamera blickt, wie in die aufgehende Sonne. Nicht umsonst eine Top-Favoritin, denn im Refrain kann man bald mitsingen.

Rumänien - WRS mit "Llámame"
Gehen die Oberteile der Backgroundtänzer noch als Croptop durch - oder ist das schon nur mehr ein Kragen mit Arm-Auslass? Man hat ausführlich Zeit, über diese Frage zu sinnieren, ohne musikalisch etwas zu verpassen. Kann man diesen Song um vier Uhr in der Vorstadt-Disko auflegen? Klar! Und mitklatschen und mitsprechen (mitsingen?) geht im Refrain natürlich auch. Einen Outfitwechsel liefert WRS noch, na dann hat es doch noch für einen Finalplatz gereicht.

Serbien - Konstrakta mit "In corpore sano"
Serbien, eine Überraschung! Keine Haarchoreografie, kein Ethno-Herrentrio, keine Diva im langen Abendkleid mit Windmaschinen-Ballade? Aber was war das genau? Mit unverwandtem, traurigen Blick in die Kamera lässt sich Sängerin Konstrakta die Hände waschen und singt eintönig, aber irgendwie fesselnd über Gesundheit. Eine Show, wie eine Theaterinszenierung. Bleibt jedenfalls in Erinnerung - auch dank dem etwas anderen Mitklatschteil.

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