Musikwissenschaften

Schuberts Briefe an Freunde: Verstehen, ob er "queer" war

Wikimedia/Hadi
  • Drucken

Ein Projekt will das klischeegeprägte Bild Franz Schuberts korrigieren. Ein besseres Verständnis von Zeit und Umfeld, aber auch neue digitale Möglichkeiten widerlegen Vorurteile.

Was wissen Sie über Franz Schubert? Eine Straßenbefragung brächte wohl etliche Gemeinplätze zutage, die zum Image eines genialen, aber verarmten und/oder verkannten Musikers gehören. Jüngere Befragte würden ihn vielleicht als Loser bezeichnen, ältere als unglücklichen Menschen, als der er etwa im 1950er-Jahre-Film „Dreimäderlhaus“ dargestellt wird.

Vieles davon ist objektiv unrichtig. Entgegen dem Stereotyp des wirtschaftlich Erfolglosen bewies Schubert etwa viel Engagement, um seine Werke in die Öffentlichkeit zu bringen, wie die Musikwissenschaftlerin Andrea Lindmayr-Brandl betont. „Schubert the Successful“ nennt sich ihr aktuelles Projekt. „Er war teilweise sehr damit beschäftigt, Konzerte, in denen seine Werke vorkamen, vorzubereiten oder Werke gut für den Druck aufzubereiten. Seine Freunde haben sich deshalb gelegentlich in Briefen darüber beschwert, dass Schubert keine Zeit habe, sich mit ihnen zu treffen.“ Auch habe der Komponist begonnen, seine Liedtexte durch einen literarisch gebildeten Übersetzer in mehrere europäische Sprachen zu übertragen, möglichst im Metrum des deutschen Originals, um sie auch im Ausland bekannt zu machen.

Neue Wege, neue Sichtweisen

Lindmayr-Brandl lehrt als Professorin an der Universität Salzburg und gilt mit ihrer Habilitation und intensiven Forschung zu Schubert als führende Expertin auf diesem Gebiet. Hilfreich, um manches Klischee neu zu bewerten, sind für die Forscherin nicht zuletzt die umfassenden digitalen Datenbanken und Arbeitsweisen, die den Geisteswissenschaften heute zur Verfügung stehen. So könne die Diskussion über die vermeintliche Homosexualität des Komponisten heute wesentlich differenzierter geführt werden, als dies zuletzt vor 30 Jahren der Fall gewesen sei. „Die fast wichtigste Quelle, um Aussagen darüber machen zu können, sind die Briefe der Freunde. Um sie analysieren zu können, muss man aber die Sprache jener Zeit verstehen.“

Dies sei früher zum Beispiel bei amerikanischen Forschern nicht der Fall gewesen; da sei etwa das „Ich liebe dich“ eines Briefwechsels unter jungen Männern durch primitive Übersetzungen falsch interpretiert worden. Zwar werde man auch anhand dieser Dokumente keine hundertprozentige Einordnung von Schuberts sexueller Orientierung vornehmen können, sagt die Wissenschaftlerin. Dies sei jedoch ohnehin nicht das Ziel. Das Briefmaterial des Freundeskreises zu analysieren, sei – so wie viele Instrumente der Biografik – einfach hilfreich, um sich der Person und auch der Kunst Schuberts auf neue Weise anzunähern.

Eigene Kommission gegründet

Lindmayr-Brandl leitet die vor gut einem Jahr gegründete Kommission für Interdisziplinäre Schubert-Forschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). In diesem Gremium arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Sparten der ÖAW zusammen, um neue Forschungsfelder aufzutun, ergänzt durch internationale Schubert-Forscherinnen und -Forscher etwa aus den USA, Irland, Frankreich und Deutschland. Zu den Aufgaben der Kommission gehört zudem, auch den Kontakt zur Öffentlichkeit zu pflegen – durch Veranstaltungen, frei zugängliche Publikationen und Stellungnahmen.

Man kommt diesem Auftrag beispielsweise durch Summerschools für Studierende aller Richtungen nach, in diesem Jahr zum erwähnten Thema unter dem Titel „Sexuality and Gender in Schubert's Time“. Für Dissertantinnen und Dissertanten bietet die Schubert-Kommission Workshops an, die sich mit Aspekten der Kunst und der Musik der Vormärz-Epoche beschäftigen – speziell im Umfeld Schuberts und des zur gleichen Zeit in Wien arbeitenden Beethoven.

Frauen im Kulturbetrieb

Ein anderes „Geschlechterthema“, das interdisziplinär beleuchtet werden soll, ist die Bedeutung von Frauen im Kulturbetrieb der Vormärz-Epoche. So sei in der Forschung bisher kaum berücksichtigt, dass etwa die bürgerliche Salonière Caroline Pichler, in deren Salon auch Schubert verkehrte, selbst eine ambitionierte Schriftstellerin und aktive Musikerin gewesen sei, sagt Lindmayr-Brandl. Bei einem Konzert der in Wien gegründeten Hohen Gesellschaft adeliger Frauen zur Förderung des Guten und Nützlichen – nach heutigen Maßstäben wohl vergleichbar einem von Charity-Ladys veranstaltetem Event – sei immerhin der „Erlkönig“ uraufgeführt worden.

Derartige kulturelle Gestaltungsmöglichkeiten des weiblichen Teils der Gesellschaft jener Zeit in den Blick zu nehmen, hat sich die Jahrestagung der ÖAW-Kommission unter dem Motto „Women's Agency in Schubert's Vienna“ vorgenommen.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.