Anpassbares Wohnen

Beim Bauen keine Barrieren planen

Hürdenloses Duschvergnügen passt für jedes Alter.
Hürdenloses Duschvergnügen passt für jedes Alter. Getty Images/iStockphoto
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Ein Haus schon beim Bau möglichst barrierefrei und anpassbar zu gestalten erhöht Wert und Wohnqualität für Generationen.

Barrierefreiheit ist eigentlich nichts, woran man in jungen Jahren bei der Planung eines Eigenheims als Erstes denkt. Da sind stilistische Vorstellungen, aber auch knapp bemessene finanzielle Ressourcen wichtiger. Dennoch sollte man den einen oder anderen Gedanken an die Zukunft verschwenden. „Ich halte viel davon, junge Menschen zu fragen, wie sie sich ihr Leben in fünf, zehn, 20 Jahren vorstellen und wie sie dann leben wollen“, sagt Architektin Ursula Spannberger. Und Architektin Christine Eder meint: „Gerade für junge Familien ist Flexibilität ein großes Thema. Wenn sie ein Haus planen, sollte unbedingt aus ihren Köpfen hinaus, dass Barrierefreiheit etwas mit dem Alter zu tun hat.“ Denn wer mit Kinderwägen um eine Ecke oder durch einen Gang möchte, ist ebenso froh über eine barrierefreie Umgebung wie jemand, der sich überraschend den Fuß bricht oder vorübergehend ein paar Wochen im Rollstuhl durch die eigenen vier Wände manövrieren muss.

Das Stichwort in diesem Zusammenhang ist „anpassbares Wohnen“. Dafür plädiert auch Hans-Jürgen Groß, geschäftsführender Präsident des Öziv Burgenland. Der Öziv versteht sich als Interessenvertretung, die österreichweit Unterstützungsleistungen für Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen anbietet. „Ich frage mich immer, warum wir Barrierefreiheit nicht zum Standard beim Bauen erheben. Und automatisch mitdenken, wo wir beispielsweise eine Rampe installieren können, wenn sie plötzlich gebraucht wird“, sagt Groß. Trotzdem spricht er sich dafür aus, bereits im Vorfeld möglichst große Flexibilität einzuplanen, und hält wenig davon, auf der Erdgeschoßebene einen Plan B umzusetzen. „Eher finde ich sinnvoll, einen Liftschacht bereits beim Bauen zu installieren. Da halten sich die Kosten noch in Grenzen, was man von einem nachträglichen Einbau nicht sagen kann.“ Treppenlifte können eine Alternative sein, qualitativ sind sie das für Groß allerdings keinesfalls.

Passende Maße für alle

„Es ist normal, verschieden zu sein – und diese Verschiedenheit im gesamten Lebenslauf soll die Grundlage unserer Planungen sein“, sagt Architektin Monika Klenovec. Sie hat im Rahmen von „Design for all“, deren Ehrenpräsidentin sie ist, 20 Punkte definiert. Beispielsweise sollte der Abstand zwischen Fußboden und Fenster nicht höher als 60 cm sein, damit man auch im Sitzen und Liegen hinausschauen kann. Fenster sollten leicht zu bedienen sein, mit gut erreichbaren Fenstergriffen und Jalousien. Französische Fenster – also bodentiefe Fenster mit einem unmittelbar vor der Öffnung befestigten Geländer – bieten eine gute Aussicht ins Freie für Kinder und für Betagte.

Ein weiteres Beispiel: die Türen. Die Eingangstür sollte eine Breite zwischen 90 und 100 cm haben, da sonst der Türflügel zu schwer wird. Die Zimmertüren sind im Optimalfall zwischen 80 und 90 cm breit. Und es empfiehlt sich, entsprechende Bewegungsflächen vor und hinter der Tür vorzusehen. Die Türschwelle sollte unter zwei Zentimetern gehalten werden, damit sie gut überrollbar ist.

Viel Bewegungsraum – auch im Bad

Im Gesamten kommt es laut Klenovec auf drei Schwerpunkte an: schwellenfreier Zugang zum Haus sowie ausreichend Bewegungsraum in den wichtigen Wohnbereichen und in den Sanitärräumen. Im Gegensatz zu Groß spricht sie sich sehr wohl dafür aus, im Erdgeschoss barrierefreies Wohnen zu ermöglichen. Auch Spannberger sagt: „Es hat sich bewährt, dort nicht nur ein WC, sondern auch ein kleines Gästebad mit Dusche zu planen.“ Was übrigens auch Kindern zugutekommt, die gleich nach dem Spielen im Sandkasten gewaschen werden wollen. Spannberger spricht sich auch dafür aus, die Räume eines Hauses nicht zu klein zu planen: „Wer das unbedingt möchte, sollte mit Leichtbauwänden arbeiten, die man später einfacher entfernen kann.“
www.designforall.at, www.raumwert.cc,
https://barrierefreiesbauen.at, www.oeziv.org

DIE „SOWIESO-KOSTEN“

Bei der Planung von barrierefreiem Wohnraum ist vor allem ein Blick auf die Mobilitätskette geboten: „Das fängt beim Parken an und geht über die Bewegungsflächen bis hin zu Schwellern“, weiß Architektin Christine Eder. Sie spricht nicht von Mehrkosten, sondern von Sowieso-Kosten: „Es fallen durch die Anpassbarkeit keine wirklichen Zusatzbeträge an. Wirklich teuer wird es erst, wenn man ein Gebäude adaptieren will.“ Eine Studie der ETH Zürich aus dem Jahr 2004 zeige, dass durch hindernisfreies Bauen bei Neubauten Mehrkosten von weniger als zwei Prozent entstehen. Das entspreche in der Größenordnung etwa der Baureinigung. Architektin Ursula Spannberger spricht von fünf bis zehn Prozent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2022)

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