Leitartikel

Putin führt Krieg im globalen Maßstab, auch mit dem Weizenpreis

(c) REUTERS (VALENTYN OGIRENKO)
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Während die UNO vor Hungerkatastrophen warnt, kündigt Russlands Präsident eine große Weizenernte an und erhöht so den Druck auf Europa.

Je länger der Krieg in der Ukraine dauert, umso mehr Nebenschauplätze von geopolitischer Brisanz tun sich auf. In den reichen Industrieländern sind es vor allem die hohen Energiepreise, die für Unmut, Verunsicherung und hohe Inflation sorgen. Auch in Österreich wurden nicht nur Treibstoff, Strom oder Gas teurer, sondern auch Lebensmittel. Im Schnitt um sechs Prozent. Das ist vor allem für Haushalte mit geringem Einkommen schmerzhaft. Aber eben nicht existenziell.

Ganz anders ist das aber in Ländern wie Simbabwe. Dort können sich viele Menschen die Lebensmittel nicht mehr leisten. Bereits vor dem Ukraine-Krieg stiegen die Preise um knapp 20 Prozent. Nun geht es in vielen Entwicklungsländern nicht mehr um die horrenden Preise, sondern vielmehr um die Verfügbarkeit von Weizen oder Mais. Erstmals nach vielen Jahren nimmt die Zahl der an Hunger leidenden Menschen wieder zu. Die FAO, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO, spricht von 811 Millionen Menschen, die akut an Hunger leiden, und von zwei Milliarden, die von Mangelernährung betroffen sind.

Die Entwicklung zeigt nicht nur, wie dramatisch sich die Lage binnen kürzester Zeit zugespitzt hat. Sie führt auch vor Augen, was es bedeutet, wenn der Weg der Globalisierung unterbrochen, möglicherweise sogar verlassen wird. Es war die Globalisierung, die im vergangenen Jahrzehnt Millionen von Menschen aus der bittersten Armut geführt hat. Und es sind die unterbrochenen Lieferketten, die hervorgerufen durch Pandemie und Krieg die Welt wieder in alte Schablonen zurückwerfen. Statt von einer „Redimensionierung“ der Globalisierung zu sprechen, braucht es vielmehr eine diversifizierte Globalisierung. Denn eines muss allen klar sein: Die Abhängigkeit von Russland mag schon schlimm genug erscheinen, aber im Vergleich zu China ist sie geradezu lächerlich. Russland ist wirtschaftlich gesehen ein Schwellenland. Ein Schwellenland allerdings mit einem gigantischen Atombombenarsenal.

Nach Öl und Gas nutzt Putin nun also den Weizen als Faustpfand gegen den Westen. Erst am Donnerstag hat der russische Präsident geradezu genüsslich verkündet, dass seinem Land eine der besten Weizenernten ins Haus steht, die es je gegeben hat. Nach 2020 werde die Getreideernte wieder bei mehr als 130 Millionen Tonnen liegen, davon 87 Millionen Tonnen Weizen. Wie viel von dem Getreide aus der Ukraine gestohlen worden ist, sei dahingestellt. Klar ist die Intention. Putins Botschaft an die Welt lautet: Schuld am weltweiten Engpass bei Nahrungsmitteln und an den hohen Preisen seien die Sanktionen des Westens, die Russland daran hinderten, mehr Getreide zu exportieren.

Was Putin natürlich nicht sagt: Russland blockiert seit Beginn des Kriegs die ukrainischen Häfen am Schwarzen Meer und verhindert so Getreidelieferungen. Immerhin war die Ukraine voriges Jahr noch der viertgrößte Getreideexporteur der Welt. Erst jüngst wies der EU-Vizekommissionspräsident, Maroš Šefčovič, im Gespräch mit der „Presse“ darauf hin, dass Russland gezielt in Afrika Stimmung gegen Europa macht.

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