Kulinarik-Management

Kanada kocht anders

Ein Professor, der nicht nur lehrt, Oktopus zuzubereiten: Jason Inniss, George Brown College, Toronto.
Ein Professor, der nicht nur lehrt, Oktopus zuzubereiten: Jason Inniss, George Brown College, Toronto. Jason Inniss
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Mit einem Bachelorprogramm will ein kanadisches College dem Talentabfluss in Gastronomie und Hotellerie entgegenwirken. Ein Lokalaugenschein.

Toronto, ein Abend in der Zentrale der Außenwirtschaft Austria. Es wird über vieles diskutiert, auch über Gastronomie und Hotellerie. Ob Österreich oder Kanada, in der Pandemie gingen viele mühevoll ausgebildete Fachkräfte verloren, die Jobs in anderen Brachen fanden. Am renommierten George Brown College in Toronto gehe man deshalb neue Wege in der Ausbildung, hört man, bislang einmalig in Kanada. Da gebe es einen Professor, Jason Inniss, der mit seinen unkonventionellen Lehrmethoden besser vorbereitete Absolventen in die Küchen der Welt entsende. Kann sich Österreich davon etwas abschauen?

Zuerst die Ausbildung. Das George Brown College bietet das einzige akademische Curriculum für Culinary Management in Kanada. In vier Jahren lässt sich ein Bachelortitel erwerben, „Bachelor Honours“. Das steht für eine besonders breite und tiefe Ausbildung, eine Aufwertung des „normalen“ Bachelors. Man lernt alles, um als Küchenchef, Kulinarikmanager, Unternehmer in diesem Bereich oder in der Lebensmittelindustrie zu bestehen. Einschließlich Kochen, Tafelkunde und – dem Trend der Zeit entsprechend – Nachhaltigkeit.

Kochen, führen, managen

In dieser Form gibt es eine solche Bildungsschiene in Österreich nicht. Die handwerklich-gewerbliche startet hier mit einer Lehre – der Kochlehre – im Alter von 14 Jahren, ebenso die fünfjährigen Höheren Lehranstalten für Tourismus wie das Modul in Wien oder Klessheim in Salzburg, sie schließen mit Matura ab.

Höhere Ausbildungen beginnen Interessierte mit 18 oder 19 Jahren, hier gibt es Kollegs oder Lehrgänge, die sich auf spezielle Inhalte konzentrieren – das Kochhandwerk an sich ist aber oft kaum Thema. An der St. Pöltner New Design University (NDU) beispielsweise kann man einen dreisemestrigen Lehrgang zum akademisch geprüften Food Designer absolvieren, am Innsbrucker MCI wiederum wird ein Master in Entrepreneurship & Tourism angeboten, er fokussiert auf das gehobene Management.Andere Universitäten lehren Tafelkunde und Nachhaltigkeit, etwa die Universität Salzburg mit dem Mater in Gastrosophie, an der Universität Wien kann man zum Beispiel Vorlesungen zu Feed Ethics am Institut für Philosophie besuchen.

Die Ausgangssituation in Toronto war ähnlich, als sich das George Brown College entschloss, das Bachelor-Studium in Culinary Management ins Programm aufzunehmen. Denn was bislang oft in den Inhalten fehlte, hüben wie drüben, war das Kochhandwerk – und damit die Einsicht in die Sorgen und Nöte der gelernten Köche, die sich ihrerseits nach wenigen Jahren frustriert nach Jobs in anderen Branchen umschauen.

Unkonventioneller Professor

Der Bachelor – Voraussetzung ist ein High-School-Abschluss (er erfolgt meist mit 18 Jahren) und ein Mindestalter von 19 Jahren – umfasst Kochen in Theorie und Praxis genauso wie Management-Disziplinen wie Finance, Human Resources und Marketing. Der akademische Titel gibt den Absolventen das nötige Gewicht, um Missstände in der Küche zu ändern. „Unsere Studenten sind reifer“, analysiert Jason Inniss im Gespräch mit der „Presse“. „Sie stellen höhere Anforderungen, können aber auch besser abschätzen, was sie im Beruf erwartet.“ Inniss war selbst Küchenchef und besaß mehrere Restaurants, bevor er sich als Professor der universitären Lehre zuwandte. Heute unterrichtet er Kochen genauso wie Unternehmertum, Führung in der Küche und Nachhaltigkeit. Mit seiner Familie lebt er auf einer Farm nahe Toronto, viele Lebensmittel kommen aus dem eigenen Garten. Lokale Berühmtheit erlangte Inniss mit unkonventionellen Lehrmethoden während der Pandemie. So nannte er vor jedem Kochthema einige Kriterien, nach denen er die Arbeiten seiner Studenten beurteilen würde, wenn er weder kosten noch riechen könnte: „Ein Steak etwa an der Farbe des Fleisches, an der konsistenten Kreuzschraffur und daran, dass kein Blut auf dem Teller ist. Dann hat das Steak lang genug gerastet.“

Dass seine Studenten in ihren eigenen Küchen am Laptop (manche nur am Smartphone) kochen und mitfilmen mussten, war für ihn positiv. „So lernen sie, zu improvisieren und zu präsentieren.“ Ihre Werke sollten sie sofort online stellen: „Um sich in den Social Media einen Namen zu machen.“ Und nur scheinbar nebenbei arbeitet er gleichzeitig an der Einstellung seiner Studenten: nicht die Einschränkungen der Pandemie zu beklagen, sondern das Beste daraus zu machen. „Lernen bedeutet, sich anpassen zu können.“ Oder eben Missstände zu ändern, statt vor ihnen davonzulaufen.

Verändere die Branche!

In Kanada läuft eine Serie, „Kitchen Nightmares“, in der Restaurantküchen als „der schlimmste Ort der Welt“ dargestellt werden. Das ärgert Inniss. „Meine Studenten lieben, was sie tun, sonst würden sie es nicht tun. Ich bringe ihnen Kreativität, Führungsstärke und Innovationskraft bei. Und ich lehre sie, Probleme zu lösen.“

Am liebsten wäre es dem kochenden Professor, alle von ihnen würden selbst Restaurants eröffnen. Inniss ermutigt die Studierenden auch, mit neuen Arbeitsformen zu experimentieren, dem Job Sharing etwa, der Vier-Tage-Woche – oder auch nur dazu, das Trinkgeld fair aufzuteilen. „Ich sage ihnen: ,Ihr seid die Zukunft. Ihr könnt die Branche ändern.‘“

Auf einen Blick

Wie in Österreich verloren Gastronomie und Hotellerie pandemiebedingt auch in Kanada zahllose Fachkräfte an andere Branchen. Branchentypische Probleme wie lange Arbeitszeiten und schlechtes Betriebsklima trugen ebenso dazu bei. Das George Brown College in Toronto entwickelte kürzlich ein Bachelor-Curriculum in Culinary Management.Das Studium verbindet die praktische Arbeit in der Küche etwa mit Management, Mitarbeiterführung, Finanzwissen, Unternehmertum und Nachhaltigkeit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2022)

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