Literatur

Rachel Cusk: Die verbreitete Unsitte der Unhöflichkeit

Rachel Cusk
Rachel CuskSuhrkamp Verlag
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Gedanklich brillant, trotzdem einfach zu lesen: Rachel Cusks Essayband „Coventry“.

To send someone to Coventry“ meint im Englischen, jemanden vollständig auszugrenzen, ihn so zu behandeln, als sei er unsichtbar und unhörbar, heißt es im titelgebenden Essay von Rachel Cusks Essayband „Coventry“. Über die Herkunft der Redewendung sei nichts bekannt, heißt es weiter, wahrscheinlich habe sie mit der Tatsache zu tun, wie sehr das Städtchen Coventry und seine Kathedrale im Krieg gelitten haben. Heute, fährt Cusk dann fort, sei „Coventry eine gewöhnliche Stadt in den Midlands, die ihre Verluste wenn nicht verstanden, so doch immerhin überlebt hat“. – Man könnte diesen Satz als Schlüsselsatz für den gesamten Essayband begreifen, aus dem sich auch die Metapher des Titels erklärt: Denn alle Essays in „Coventry“ erzählen vom zwischenmenschlichen Zusammenleben, vorzugsweise im engsten Familienkreis, von den (Illusions-)Verlusten, die wir dabei zwangsläufig erleiden, und von deren Konsequenzen, und das ohne den Anspruch zu erheben, sie vollständig verstanden zu haben, das Überleben – in Gemeinschaft – durch das Nachdenken über eigene Gefühle und Konfliktursachen aber doch zu erleichtern.

Rachel Cusk, Jahrgang 1967 und im deutschsprachigen Raum spätestens seit der „Outline“-Romantrilogie über die Neu-Findung einer Frau nach dem Ende ihrer Ehe bekannt, erweist sich auch in ihrem ersten Essayband als jene intelligente, schonungslos offene und psychologisch versierte Autorin, als die man sie von ihren fiktionalen Werken her kennt. Und so nah ihre fiktionale Prosa in der Regel der faktischen Wirklichkeit ist und dem nahesteht, was als Autofiktion bezeichnet wird, so sehr durchdringt die sechs Essays des 160-seitigen Bandes nun umgekehrt das fiktionale Element des Geschichtenerzählens.

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