Enorme Zweifel an der Linzer TU: Gar keine echte Uni?

Die Präsidentin der Österreichischen Universitätenkonferenz, Sabine Seidler
Die Präsidentin der Österreichischen Universitätenkonferenz, Sabine Seidler(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Dass es ein "wenig durchdachtes Projekt" ist, sind noch die freundlichsten Worte. Dabei wollen die Linzer schon Wintersemester 2023/24 starten. Und wer soll das bezahlen? Auch das ist unklar.

In der heute, Dienstag, endenden Begutachtungsfrist zum Gründungsgesetz für die neue Linzer Technische Universität (TU) sind mehrere äußerst kritische Stellungnahmen vor allem aus dem universitären Bereich eingegangen. Man hat Bedenken hinsichtlich des wissenschaftlichen Anspruchs, des Zeitplans sowie der Finanzierung und befürchtet, die Freiheit der Wissenschaft werde ausgehebelt. Senat und Betriebsrat der Linzer Uni bezweifeln gar, dass es sich wirklich um eine TU handelt.

"Das vorliegende Konzept zeigt eine extrem einseitige Orientierung an den Bedürfnissen der oberösterreichischen Industrie und damit einhergehend eine bedrohliche Einschränkung der Freiheit von Forschung und Lehre", schreibt die Präsidentin der Österreichischen Universitätenkonferenz (uniko), Sabine Seidler, an die Mitglieder des Wissenschaftsausschusses im Parlament. Die uniko bemängelt in ihrer Stellungnahme, dass der Gesetzesentwurf in maßgeblichen Bereichen sehr vage bleibe - etwa, was Struktur, rechtliche Basis, die Rahmenbedingungen für den Betrieb und die Aufgaben der geplanten Ges.m.b.H. zur Organisation und Verwaltung angehe.

Keinerlei (mittelfristige) Finanzplanungen bekannt

Massive Bedenken haben die Universitäten hinsichtlich der Finanzierung: Zum einen halte man es für "zweckwidrig und rechtswidrig" sowie "politisch verantwortungslos", dass die Aufwendungen der Gründungsphase aus den Mitteln der "Ministerreserve" erfolgen soll. Zum anderen will die uniko vor Gesetzesbeschluss die 15a-Vereinbarung mit dem Land Oberösterreich unter Dach und Fach wissen - da der Bund versichert hat, dass die Finanzierung der neuen TU nicht zulasten der bestehenden Unis gehen soll, zweifelt man am Zustandekommen dieser Vereinbarung.

Hier setzt auch der Oö. Landesrechnungshof (LRH) an, der sich wundert, dass der Bund "entgegen seiner verfassungsrechtlich verankerten Verantwortung und Zuständigkeit" die Realisierung von der finanziellen Beteiligung eines Landes abhängig mache. Die Höhe der Beteiligung sei völlig unklar, es seien dem LRH "auch keinerlei (mittelfristige) Finanzplanungen des Landes Oberösterreich bekannt, die darüber Auskunft geben würden". Der Bundesrechnungshof kann nicht nachvollziehen, warum ein weiteres Regelungsregime außerhalb des Uni-Gesetzes geschaffen wird und bemängelt, dass wesentliche Entscheidungen zur Organisation und Finanzierung "ausständig sind oder nicht offengelegt wurden".

Schon 2023/24 ein PhD-Studium? "Kaum durchführbar"

Der Plan, im Wintersemester 2023/24 zu starten und gleich ein Bachelorstudium sowie ein PhD-Doktoratsstudium anzubieten, sei unter den gegebenen Qualitätsanforderungen "kaum durchführbar", schreibt die uniko in ihrer Stellungnahme weiter. Es sei nicht nachvollziehbar, "wie in einer Einrichtung, deren Forschungspersonal und -infrastruktur noch nicht aufgebaut sind, die Durchführung eines PhD-Doktoratsstudiums gemäß universitärer Qualitätsstandards geleistet werden kann".

Auch der Rektor der Johannes Kepler Universität (JKU) Meinhard Lukas äußerte sich skeptisch. Für ihn wäre es ein "unglaubliches Versäumnis, jetzt die Jahrhundertchance einer echten TU für Oberösterreich nicht wahrzunehmen, weil man sich aus Aktualitätsgründen auf eine Themenuniversität beschränken will". Themen seien Moden unterworfen, merkte er an. Zu einer "echten" Technische Universität gehöre etwa "ein Fächerkanon aus ingenieurwissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen Fächern. Eine entsprechende Ausbildung in einem solchen Fach ist dann auch die Grundlage für einen so angesehenen akademischen Grad wie "Dipl.-Ing." oder "Dr.techn."

Wichtig ist für Lukas, Strukturen zu bauen, die solide und offen seien. Alles andere wäre ein "unglaubliches Versäumnis". Zudem bewertet das Rektorat in seiner zwölfseitigen Stellungnahme die beabsichtigte Interdisziplinarität der neuen TU ohne Einrichtung von Disziplinen als "unrealistisch und vor allem unwissenschaftlich".

Insofern ist für den Rektor der in der Vergangenheit schon angedachte Name "Austrian" oder besser "Linz Institute of Digital Sciences and Arts" gewiss treffender als TU.

Wäre das tatsächlich eine TU?

Auch den Senat der JKU erfüllt "die im Konzeptpapier dargestellte Ausrichtung der neuen Universität und der auf dieser Basis illusionäre Anspruch an wissenschaftliche Exzellenz mit großer Sorge". Und: "Es wird bezweifelt, dass es sich bei der neuen Universität tatsächlich um eine Technische Universität handelt, wie sie im internationalen Kontext als Marke existiert", heißt es in der Stellungnahme. Denn "der von der Konzeptgruppe ausgearbeitete Vorschlag sieht eine Universität vor, die nicht-technikaffine Studierende anziehen soll und in ihrer Ausrichtung eher auf Interdisziplinarität und Entrepreneurship abzielt als auf ingenieurwissenschaftliche Grundlagen."

Zudem gebe es große Überschneidungen mit bestehenden Unis, insbesondere mit der JKU, wo Digitalisierung seit Jahren ein Kernthema sei. Die Aufnahme des Regelbetriebs im Wintersemester 2023/24 sei "illusorisch", meint auch der Senat.

Man befürchtet darüber hinaus, dass das TU-Gesetz Modellcharakter für eine zukünftige Universitätslandschaft haben soll. "Es zeichnet sich darin die Tendenz zu einer weiteren Rückbildung der Autonomie und einer Öffnung gegenüber politischem Einfluss ab, der zu einer unmittelbaren Indienstnahme für die Wirtschaft führt und der mit der Wissenschaftsfreiheit kaum vereinbar ist." Besonders kritisiert wird, dass im Gründungskonvent Vertreter der Politik und des Landes eine Zweidrittelmehrheit haben. "Das Gesetz lässt Berufungsverfahren und Selbstbestimmungsagenden gänzlich ungeregelt, und setzt ihre Regelung so - via Gründungskonvent - dem Zugriff der Politik aus. Insgesamt atmet das Gesetz ein unzeitgemäßes Misstrauen gegenüber Wissenschaft und Wissenschafterinnen und Wissenschaftern", schreibt der Senat.

„Entweder eine substanzlose Hülle oder eine Duplizierung"

Geradezu vernichtend ist die Stellungnahme des Betriebsrats für das wissenschaftliche Personal der JKU, die 328 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterzeichnet haben. Man sei "grundsätzlich bestürzt, dass es auf Basis des vorliegenden Konzeptpapiers überhaupt zu einem Gesetzesentwurf kommen konnte", heißt es gleich einleitend. "Digitalisierung und die Digitale Transformation sind keine eigenständigen wissenschaftlichen Fächer. Demnach ist eine rein auf dieses Thema fokussierte Universität entweder eine substanzlose Hülle oder eine Duplizierung von bestehenden Teilkompetenzen der JKU, aber auch anderer Universitäten", wobei das vorgelegte Konzept der ersten Variante zuzurechnen und "somit insbesondere keine Technische Universität" sei. Das Konzept sei "untauglich".

Die Unterzeichnenden kritisieren auch, dass die geplante "Universität" - das Wort ist in der Stellungnahme unter Anführungszeichen gesetzt - außerhalb des Universitätsgesetzes organisiert sei: "Im jetzigen Entwurf zeichnet sich ab, dass man auf Freiheit in Forschung und Lehre und akademische Selbstverwaltung bzw. wissenschaftliche Strategieentwicklung wenig Wert legt. Dafür öffnet man systematischer politischer und wirtschaftlicher Einflussnahme Tür und Tor." Die TU könnte so "politisch als Probelauf für eine Umgestaltung der österreichischen Universitäten genutzt werden", ist auch hier die Befürchtung.

Stipendien, um Studenten anzulocken?

Die uniko stößt sich darüber hinaus auch am geplanten Stipendiensystem: "Diese Stipendien sollen offenbar nicht nach sozialen Kriterien vergeben werden, sondern als Mittel, um überhaupt Studierende an die neue Universität zu bringen. Daraus kann nur geschlossen werden, dass auch der Gesetzgeber selbst Zweifel am Konzept und der Attraktivität des Studienangebots und des Standorts hat."

Die Hochschulvertretungen der Technischen Universitäten in Österreich sprechen sich geschlossen gegen den Gesetzesentwurf aus. Sie sehen ein "wenig durchdachtes Projekt" und kritisieren ebenfalls die unklare Eingliederung in das Universitätsgesetz, die Finanzierung aus der Ministerreserve sowie den "überhasteten" Zeitplan. In einer gemeinsamen Aussendung der Hochschülerschaften von TU Wien, TU Graz, Universität für Bodenkultur und der Studierendenvertretung der Technisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an der JKU wird zudem der Bedarf an einer weiteren TU in Abrede gestellt. Auch befürchtet man, dass die Titel international nicht anerkannt werden könnten, wenn die neue TU nicht auf dem Universitätsgesetz basiere und stattdessen eigene Spielregeln habe.

"Es ist verständlich, dass bei solch einem Jahrhundertprojekt, wo so viel Neues entsteht, es zahlreiche Stellungnahmen mit unterschiedlichen Ansichten gibt", reagierte Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) auf die kritischen Bewertungen. Aber, so meinte er weiter, diese habe es auch sowohl bei der Gründung der JKU als auch bei der Med-Fakultät gegeben. Beide würden heute "Erfolgsgeschichten schreiben". Stelzer geht davon aus, dass das zuständige Ministerium die Stellungnahmen "ordentlich aufarbeitet". Für den LH ist die neue TU jedenfalls "eine riesen Chance nicht nur für Oberösterreich, sondern für die gesamte Republik". Man sollte daher "Mut und Weitblick aufbringen, um Neues zu wagen".

(APA)

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