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Mitreden: Bedroht "Political Correctness" die Freiheit der Kunst?

Über das Thema politische Korrektheit wurde zuletzt viel auf den Feuilleton-Seiten der „Presse“ debattiert. Jüngster Anlassfall: der Festwochen-Auftritt von Austro-Rapper Yung Hurn. Diskutieren Sie mit!

Die „Cancel Culture" ist seit einigen Jahren in aller Munde. Wikipedia definiert das Phänomen als „politisches Schlagwort, mit dem systematische Bestrebungen zum sozialen Ausschluss von Personen oder Organisationen bezeichnet werden, denen beleidigende, unanständige oder diskriminierende Aussagen beziehungsweise Handlungen vorgeworfen werden.“ 

Feministin Alice Schwarzer wurde immer wieder als Betroffene genannt (etwa bei einem Auftritt in Wien), genauso wie die österreichische Kabarettistin Lisa Eckhart, zu deren Verteidigung Thomas Maurer in einem „Presse"-Gastkommentar ausrückte. Harry-Potter-Autorin Joanne K. Rowling kann wohl ein Lied davon singen, genauso wie so manche Universitätsprofessoren - und professorinnen. Und die Sängerin Ronja Maltzahn wurde in Deutschland von einer „Fridays for Future"-Veranstaltung ausgeladen, weil sie als Weiße Dreadlocks trägt.

Das Schlagwort „Cancel Culture“ fällt neuerdings auch oft im Zusammenhang mit russischen Kulturschaffenden, die von europäischen Kulturinstitutionen ausgeladen wurden. Anne-Catherine Simon schrieb darüber in ihrer Kolumne „Einspruch“. 

Neuester Fall in Österreich: Der Austro-Rapper Yung Hurn, in dessen Song „Rauch" recht inflationär das Wort „Bitch“ vorkommt. Der Wiener Schmusechor cancelte einen gemeinsamen Auftritt bei der Eröffnung der Wiener Festwochen.

Aber darf nicht jeder auftreten mit wem er will, nicht jede Institution selbst entscheiden, wem sie eine Bühne bietet und wem nicht? Dem widerspricht Andrea Schurian in der Kolumne „Quergeschrieben" nicht. Sie warnt aber, dass „selbst bei Kulturschaffenden das basale Wissen über den Unterschied zwischen künstlerischer Äußerung und realer Tat völlig zu verkümmern droht“. Kunst lebe doch von Grenzüberschreitung. Schurian fragt sich, was wohl passiert wäre, wenn der kürzlich verstorbene Maler Hermann Nitsch zu Beginn seiner Karriere gestanden hätte. Und sie schreibt: „Die Freiheit der Kunst (und der frechen Rede!) ist ein fragiles, ein schützenswertes Gut.“ 

Kolumnistin Schurian greift das Thema „Cancel Culture“ immer wieder in ihren Texten auf, warnt vor einer neuen Selbstgerechtigkeit und Bigotterie. Auch Kollegin Anna Goldenberg beschäftigt sich mit „Cancel Culture“, kommt aber oft zu anderen Schlüssen. Kunst existiere nicht außerhalb des gesellschaftlichen Kontextes, schreibt sie etwa zur Diskussion darüber, ob Schauspielerin Helen Mirren als Nichtjüdin die Politikerin Golda Meir verkörpern dürfe. Der Debatte müsse man sich ernsthaft stellen, sie nicht abtun. Den die Kunstwelt sei genauso wenig gerecht

Der Politikwissenschaftler René Rusch hält ebenfalls wenig von den meisten „Kommentaren, die Political Correctness kritisieren“. Sie würden sich allesamt gleich lesen, immer dem gleichen Schema folgen. Eine „Anleitung für den perfekten Anti-Political-Correctness-Kommentar" liefert er gleich mit. Eine Replik folgte prompt von Volkswirtin Astrid Schilcher.

Wiederum anderer Meinung ist die Professorin Andrea Geier. In einem Beitrag im „Presse"-Spectrum schreibt sie über die Meinungsfreiheit: „Ganz normale Formen von Protest und Kritik werden zunehmend als 'Cancel Culture' diffamiert. Dagegen nimmt die Öffentlichkeit heftige Angriffe gegen Minderheiten und Frauen oft nur schulterzuckend hin."

(sk)

Diskutieren Sie mit: Wie weit geht die Freiheit der Kunst? Wem soll eine Bühne geboten werden? Wo ist die Grenze zu Diskriminierung? Ist die Kunst weniger frei, als sie einmal war?

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