Neutralität

Verteidigungsexperte warnt Österreich vor "Identitätsproblemen"

Die österreichische Flagge sowie die Flagge der Europäischen Union
Die österreichische Flagge sowie die Flagge der Europäischen Union APA/HELMUT FOHRINGER
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Wenn Österreich an seiner Neutralität festhält, während die EU eine gemeinsame Verteidigungspolitik aufbaut, könnte das problematisch werden, sagt Stefano Silvestri.

Vor dem Hintergrund der Nato-Beitrittsansuchen von Finnland und Schweden taucht verstärkt die Frage auf, ob es in der EU in Zukunft noch Neutralität geben kann. Das Thema könnte für Österreich brisant werden, sollte in der EU eine gemeinsame Verteidigungspolitik strukturiert werden, warnt Stefano Silvestri, einer der angesehensten geopolitischen Analysten Italiens, und sieht die Gefahr von "Identitätsproblemen".

"Wenn Österreich an seiner Neutralität festhält, während die EU eine gemeinsame Verteidigungspolitik aufbaut, könnte es langfristig zu Identitätsproblemen kommen. Dies könnte neue Fragen aufwerfen. Wie kann man neutral bleiben, wenn man einem gemeinsamen europäischen Verteidigungsraum angehört? Die EU ist allerdings noch von diesem Ziel entfernt", meint Silvestri, früherer Präsident des Instituts für internationale Studien IAI und Mitglied des Verwaltungsrats des Verbands der italienischen Luft- und Raumfahrt-, Verteidigungsunternehmen (AIAD).

Österreichs Neutralität zwischen Nato und der Sowjetunion habe während des Kalten Kriegs eine große Rolle gespielt, so der Experte. "Russland ist heute jedoch nicht mehr die Sowjetunion, die zwar in Ländern des Warschauer Pakts inbegriffen war, aber nie ein europäisches Land attackiert hat. Russland dagegen hat die Ukraine attackiert und dabei ein wesentliches Prinzip der europäischen Sicherheit verletzt. Angesichts dieses Angriffs ist es schwierig, Neutralität zu bewahren. Österreich hat den Angriff verurteilt und unterstützt die Sanktionen. Man fragt sich daher, welche Bedeutung heute Österreichs Neutralität haben kann", argumentierte Silvestri, Ex-Staatssekretär für Verteidigung und außenpolitischer Berater mehrerer Regierungen in Rom.

Die wahre Neutralität sei jene der blockfreien Länder wie Indien und mehrerer afrikanischer Staaten. "Diese Länder verurteilen zwar den Ukraine-Angriff, schließen sich jedoch nicht den Russland-Sanktionen an. Das wird daher ein heikles politisches Spiel, in der die Neutralität eine ganz andere Bedeutung als jene Österreichs hat, die de facto ohne Gewicht ist, wie das nicht relevante Ergebnis der Gespräche von Bundeskanzler Karl Nehammer mit Wladimir Putin bezeugt", erklärte Silvestri.

„Putin hat bewiesen, dass Neutralität keine Relevanz hat“ 

Als Kanzler eines neutralen Landes habe Nehammers Treffen mit Putin zwar mediales Interesse geweckt, die Resultate des Gesprächs aber hätten nicht mehr Erfolg gehabt, als jene anderer Regierungs-und Staatschefs der EU, wie Emmanuel Macron, Olaf Scholz oder Mario Draghi. "Damit hat Putin bewiesen, dass das Thema Neutralität in seinen Augen keine Relevanz hat", meinte Silvestri.

Angesichts des aktuellen Szenarios hält der italienische Experte den Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens für unvermeidbar. "Ich hoffe, dass dies in kurzer Zeit ohne zu große Hürden erfolgen wird. Die Ratifizierung des Nato-Beitritts von Parlamenten verschiedener Länder mit unterschiedlichen Positionen in Sachen internationaler Politik könnte zu Problemen führen", erklärte der Experte.

Zu Hürden bei der Ratifizierung des Nato-Beitritts der beiden skandinavischen Länder könnte es im US-Senat kommen, in dem eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich ist. "Ich bin neugierig, was bei einer Abstimmung im US-Senat das Ergebnis sein könnte, denn hier ist noch ein harter Sockel von republikanischen Senatoren präsent, die nicht mit der Linie von Präsident Joe Biden einverstanden und Donald Trump treu geblieben sind", erklärte Silvestri.

Wie lang der Weg des Nato-Beitritts Schwedens und Finnlands dauern wird, sei also von vielen Faktoren abhängig. "Ich glaube, dass der Beitritt mindestens zwei Jahre erfordern wird. In der Zwischenzeit wird es bestimmt zu einer stärkeren Annäherung der beiden Länder kommen. Ihre Politiker und Experten werden künftig in Brüssel zu sehen sein", erklärte Silvestri.

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(APA)

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