Tagung

Philosophicum: In Lech ist heuer der Hass zu Gast

Konrad Paul Liessmann und Michael Köhlmeier lockten mit Grübeleien über falsche Gefühle.

In Russland hat sich die Lüge wieder einmal wahr gelogen. Die Propaganda Putins legt schauriges Zeugnis ab für die „Kraft der Fiktion“ – das Thema des Philosophicums Lech im Vorjahr. Lügen in Zeiten des Krieges schaffen Realitäten, indem sie Hass schüren – und um die „Anatomie“ dieses „elementaren Gefühls“ geht es heuer Ende September beim 25. Denkertreffen im Vorarlberger Wintersportort. Vordenker Konrad Paul Liessmann und Märchenmeister Michael Köhlmeier hätten die Brücke also leicht schlagen können, beim traditionellen Lockruf zum Mitdenken, am Mittwochabend im Museum für moderne Kunst in Wien. Aber Philosophen denken anders.

Sie misstrauen Gefühlen wie dem Hass, weil man ihnen mit Argumenten nicht beikommt. Wenn mir eine Freundin sagt, sie sei traurig, kann ich schwerlich „Stimmt nicht“ antworten. Aber wie kann ich erkennen, was sie wirklich fühlt? Gar nicht. Wir schließen auf Gefühle durch Signale, die Konventionen folgen: Tränen, Lachen, Zornesröte. Jeder Theaterbesucher weiß, wie gut sich das vorgaukeln lässt. Aber im Alltag glauben wir emotionalen Bekundungen. „Tun sie das ja nicht!“, warnte Liessmann. Wie falsche Gefühle zuweilen schlimmeres Unheil anrichten als Fake News, zeigte Köhlmeier mit seiner bitterbösen Geschichte: Eine neue Magd gewinnt mit vorgespielter Melancholie das Mitgefühl einer Bauernfamilie – und treibt alle ins Verderben, voller Schadenfreude, weil ihr wahrer Antrieb Hass ist.

Gegen den Strom der Zeit

Da ist er also, der Hass, das einzige Gefühl, das wir immer als böse bewerten, weil es nach Zerstörung giert um des Zerstörens willen. Wer hasst, will etwas weghaben, auch ohne sich davor zu ekeln oder zu fürchten. Umso mehr Angst macht uns diese Emotion als potenziell Bedrohte. Umso mehr möchten wir wissen, ob uns jemand hasst. Aber selbst ein Messen der Hirntätigkeit hilft uns nicht weiter: Der Hass hat in unseren Schädeln die gleiche Heimat wie die Liebe.

Sind es komplementäre Gefühle, einander gefährlich nah? Ist der Hass gar nicht elementar, sondern hoch komplex? Lässt sich der Hassrede durch kluge Rede beikommen, der Emotion durch Vernunft? Gegen den Strom einer Zeit anschwimmend, in der starke Gefühle das nüchterne Denken verdrängen, wie eine aktuelle Studie zeigt? Es wird viel zu reden geben über etwas, von dem wir sonst nicht gerne reden.

So schließt sich auch der Kreis zum allerersten Philosophicum: Es hatte „Das Böse“ zum Thema. Im September kommt zum Jubiläum ein Sammelband mit den besten Vorträgen aus einem Vierteljahrhundert heraus. Der Titel: „Der Geist im Gebirge“. Möge er sich auch heuer wieder hoch über die Niederungen von Hass und Gedankenarmut erheben.

Das 25. Philosophicum Lech findet vom 20. bis 25. September statt. Anmeldung unter www.philosophicum.com. Der Tagungsband 2021 „Als Ob! Die Kraft der Fiktion“ ist bei Zsolnay erschienen.

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