Neutralitäts-Debatte

Ex-Außenministerin Plassnik plädiert für neue Sicherheitsdoktrin

Ursula Plassnik spricht sich für eine breite und offene Diskussion aus. (Archivbild)
Ursula Plassnik spricht sich für eine breite und offene Diskussion aus. (Archivbild)Die Presse (Clemens Fabry)
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"Die österreichische Sicherheitspolitik schläft seit fast einem Vierteljahrhundert. Weitere Schlaf-Jahrzehnte können wir uns nicht leisten“, warnt Ursula Plassnik. Sie fordert eine breite und offene Diskussion über Österreichs Sicherheitspolitik.

Die frühere ÖVP-Außenministerin Ursula Plassnik plädiert rund um die Neutralitäts-Debatte für eine neue Sicherheitsdoktrin und einen "Optionenbericht" zu Österreichs Sicherheitspolitik. "Die österreichische Sicherheitspolitik schläft seit fast einem Vierteljahrhundert. Weitere Schlaf-Jahrzehnte können wir uns nicht leisten", sagte Plassnik bei der vom Verband der Auslandspresse veranstalteten Tagung Medienmittelpunkt Ausseerland in Grundlsee.

Die einst enge Mitarbeiterin von Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) sprach sich für eine breite und offene Diskussion aus. Es sei höchste Zeit für ein "Update" der inzwischen zehn Jahre alten Sicherheitsdoktrin. Seither sei in Europa einiges passiert: Cyber-Attacken, Landraub mit der Krim-Annexion, Migrationskrisen, Terroranschläge, Nato-Beitritte, die Corona-Krise und zuletzt der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine.

Forderung nach „Optionsbericht“ 2022

Es brauche deshalb eine "sorgfältige, überparteiliche und EU-konforme aktuelle Risikoanalyse". Plassniks Vorschlag wäre eine "Optionenbericht" 2022. Der erste Versuch eines solchen "Optionenberichts" misslang 1998, weil die SPÖ damals die Prüf-Option eines allfälligen Nato-Beitritts nicht akzeptieren wollte.

Für eine Neuauflage müssten etliche Fragen beantwortet werden: "Was bietet Österreich die beste Sicherheit? Wie interpretieren wir selbst heute unsere Neutralität? Wer garantiert unsere Neutralität?" Mit dem Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens gehören künftig 23 EU-Länder der Nato an. Nur Irland, Malta, Zypern und Österreich sind dann nicht Teil des nordatlantischen Verteidigungsbündnisses. "Was bedeutet das für die Zukunft der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik? Wer wird tonangebend sein?" Auch die künftige Ausrichtung des österreichischen Bundesheeres ist laut Plassnik zu klären.

Nato als „einzige, wenn auch informelle Sicherheitsgarantie"

Österreich beteilige sich seit 23 Jahren - "innenpolitisch völlig unbestritten" - an der Nato-geführten KFOR-Mission im Kosovo. Das Wort Nato sei jedoch zum Unwort geworden. "Obwohl sie bei Lichte besehen unsere einzige, wenn auch informelle 'Sicherheitsgarantie' ist", so Plassnik. "Wer gegen einen Nato-Beitritt ist, sollte logischerweise die Neutralität nüchtern auf ihre Funktionalität, auf ihre Tauglichkeit zum Schutz der Bevölkerung und der Interessen der Republik hin untersuchen."

Mit der Neutralität sei man lange gut gefahren, nun brauche es aber eine öffentliche Debatte über eine Weiterentwicklung. Österreich sei sicherheitspolitisch "blinder Passagier". Die Versicherungspolizze zahlten unsere Nachbarn, die Nato-Mitglieder. "Mit Apfelstrudelbacken werden wir nicht weiterkommen, während andere uns mit der Waffe in der Hand verteidigen sollen." Plassnik hatte auch ein Schüssel-Zitat parat: "Unser Wappentier ist der Bundesadler, nicht der Vogel Strauß."

Plassnik kontert Tanner

Dass die Österreicherinnen und Österreicher die Neutralität "im Herzen tragen", wie Verteidigungsministerin Klaudia Tanner jüngst meinte, quittierte Plassnik mit dem Hinweis, dass für eine vernünftige Sicherheitspolitik der Kopf nicht fehlen sollte. "Kopflos macht es auch nicht besser."

(APA)

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