Guilty Pleasures

Ich kann es nicht lassen – meine Trivialromane

Man blamiert sich ständig vor den Verkäuferinnen.
Man blamiert sich ständig vor den Verkäuferinnen.(c) Dorothea Schmid/Laif/Picturedesk
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Ist es nicht eine große Kunst, trostlose Themen in eine leichtfüßige Form zu verpacken? Über Guilty Pleasures und die Vorzüge der Chic-Lit, in der es um Dates, Sucht-Shopping und plötzliche Karrieresprünge geht.

Mein Bücherregal hat sehr tiefe Böden, sodass jedes Fach zweireihig befüllt werden kann. Die Bücher in der vorderen Reihe sind aus jeder Ecke des Wohnzimmers gut sichtbar und werden üblicherweise von Besuchern sofort neugierig inspiziert, während ich Tee koche oder etwas zu essen herrichte; die Bände, die dahinter eingeordnet sind, bleiben den Augen verborgen, und teilweise vergesse ich auch selbst, was dort untergebracht ist. Lange Zeit war ich nicht sicher, wie ich mit meinen Guilty Pleasures verfahren sollte, also jenen Lieblingsbüchern, die mir vor anderen Menschen peinlich sind – mal räumte ich sie selbstbewusst in die vordere, dann wieder beschämt in die hintere Reihe.

Bevor mein Freund mich das erste Mal zu Hause besuchte, hatte ich einen hektischen Nachmittag damit zugebracht, sämtliche Trivialromane hinter den anspruchsvollen Werken zu verstecken, um ihn zu beeindrucken; erst als das Vertrauen zwischen uns gefestigt war, wagte ich es, meine Lieblinge wieder an sichtbarer Stelle einzuordnen, wo sie jetzt schon seit Jahren ihren festen Platz haben. Mit handverlesener Unterhaltungsliteratur habe ich einige der schönsten Stunden meines Lebens verbracht, sie hat mir oft Trost und Mut geschenkt, hat sie dafür nicht meine Wertschätzung und meinen Respekt verdient?

Meine Guilty Pleasures machen mich glücklich und haben in verschiedenen Lebensphasen wichtige Ventilfunktionen erfüllt. Als ich an meiner literaturwissenschaftlichen Diplomarbeit schrieb und täglich viele Stunden in Bibliotheken und Archiven verbrachte, las ich als Freizeitlektüre plötzlich massenhaft Werke aus dem Genre der Chick-Lit. Der amerikanische Begriff „chick“ ist eine eher herablassende Bezeichnung für eine junge Frau und könnte im Deutschen wohl treffend mit „Tussi“ übersetzt werden. Im Zentrum des Geschehens steht für gewöhnlich eine weibliche Hauptfigur zwischen 25 und 35, die sich in einem urbanen Umfeld bewegt und konstant bei dem Versuch scheitert, dem Idealbild der stets perfekt gestylten, souveränen und erfolgreichen Frau zu entsprechen.

Gute Cocktails und Frust-Shopping

Meist wird aus der Ich-Perspektive erzählt, und zwar in einem fröhlichen Plauderton, der die potenziell traurigen Inhalte bagatellisiert: Lachend blicken die Frauen auf ihre selbst-attestierten Schönheitsfehler, ihre stockenden Karrieren und ihr kompliziertes Liebesleben. Weite Strecken der Romane konzentrieren sich auf die humorvolle Schilderung von peinlichen Dates, guten Cocktails und Frust-Shopping, wobei Konsumobjekte wie teure Handtaschen, Kleider oder Schuhe in der Regel deutlich lustvoller beschrieben werden als die romantischen oder sexuellen Begegnungen. Wenn die Handlung voranschreitet, tritt die Heldin in zahlreiche Fettnäpfchen, blamiert sich am laufenden Band vor mehr oder weniger einflussreichen Leuten – Chefs, Freundinnen, Kellnern, Shop-Verkäuferinnen, attraktiven Männern –, doch am Ende wendet sich das Blatt: Sie gewinnt irgendeine Erkenntnis und kommt mit dem idealen Partner zusammen, üblicherweise zum Zweck des Heiratens.

Häufig stellt sich etwa im selben Moment auch der berufliche Erfolg ein, gerne durch eine geniale Idee für eine Selbstständigkeit, auf welche die Welt noch gewartet hat. Trotz ihrer vermeintlichen Unzulänglichkeiten gelingt es der Protagonistin, zum Schluss sämtliche Marker eines an der Oberfläche geglückten Lebens vorweisen zu können, aber eben „ganz auf ihre Art“.

Mein Genuss dieser Bücher ist ein Guilty Pleasure, weil ich ihre Machart durchschaue und trotzdem nicht von ihnen lassen kann. Ich habe mir nie Illusionen über ihre literarische Qualität gemacht: Jene Werke entstehen in einer Massenproduktion und weisen immer dieselben Merkmale in unterschiedlichen Variationen auf. Wer einen Roman dieses Genres ausgelesen hat, wird in der Regel kein Problem haben, in der nächsten Buchhandlung sofort fünf oder zehn ähnliche Bücher von anderen Autorinnen zu finden. Nur in den seltensten Fällen wird die Lektüre wirklich überraschende Erkenntnisse bereithalten.

Mir entgeht nicht, dass sie mit ihrer Moral durch die Hintertür kommen, indem sie zuerst behaupten, mich in meinen Unsicherheiten und Selbstzweifeln zu verstehen, aber mir am Ende doch nur Lust machen, eine neue Handtasche zu kaufen. Die amerikanische Literaturwissenschafterin Caroline J. Smith plädierte 2008 in ihrer Studie über das Genre dafür, die satirische Darstellung des Shoppens in diesen Romanen als Kritik an der Konsumkultur ernst zu nehmen. Ich sympathisiere mit dieser Ansicht, ahne aber, dass es im Ergebnis dennoch eine Ermutigungsliteratur für junge Frauen ist, die ihnen vermittelt, dass sie trotz diverser (Anpassungs-)Schwierigkeiten nicht aufgeben sollen, sondern immer noch allen Anforderungen ihrer Umgebung entsprechen können. In einer Phase, in der die Leserin sich so fühlt wie die typische Chick-Lit-Protagonistin (eine Phase, die bei mir ein Dauerzustand ist) und eventuell daran zweifeln könnte, ob sie wirklich dafür geschaffen ist, alle zeitgenössischen Erwartungen an ein Frauenleben zu erfüllen, wird sie von diesen Romanen abgeholt und darin bestärkt, das Ziel weiterzuverfolgen.

Es lässt sich nicht leugnen, dass ich das Identifikationsangebot dieser Romane bis heute dankend annehme. Ich blamiere mich ständig vor Shop-Verkäuferinnen, habe die große Karriere hoffentlich noch irgendwann vor mir und fände es prinzipiell auch gut, wenn sich durch ein Fingerschnippen von Mr. Right alle meine Probleme in Wohlgefallen auflösen würden. Hin und wieder, wenn mir meine mühsam erarbeiteten Bewältigungsstrategien für den Alltag ausgehen, will ich für einen Moment daran glauben dürfen.

Darüber hinaus weisen viele dieser Romane Qualitäten auf, die durchaus Anerkennung verdienen. Sie sind versöhnlich, indem sie eine Welt zeigen, in der zwar vieles schiefläuft, aber am Ende doch nichts wirklich Schlimmes passiert. Der Running Gag der berühmten „Shopaholic“-Reihe von Sophie Kinsella besteht etwa darin, dass die Protagonistin Becky Bloomwood permanent furchteinflößende Schreiben von ihrer Bank, ihrer Kreditkartenfirma oder anderen drohenden Instanzen erhält und trotzdem fröhlich weiterlebt und im Laufe der (bisher neun) Bände weder verarmt noch vereinsamt oder in Depressionen verfällt, sondern im Gegenteil einen ganz guten Aufstieg hinlegt, heiratet, eine Familie gründet, ihre verlorene Schwester wiederfindet, die Welt bereist und so weiter. (Es ist kein Spoiler, dies zu verraten, denn all diese Meilensteine werden bereits in den Titeln und Coverbildern der jeweiligen Bände „enthüllt“.)

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