Ukrainistik

Grammatiken als Zeugen von Sprachpolitik

Grußkarte aus der Bukowina, anno 1899. Die Bevölkerung war sehr stark gemischt, die Ruthenen (r.) waren eine von vielen Volksgruppen.
Grußkarte aus der Bukowina, anno 1899. Die Bevölkerung war sehr stark gemischt, die Ruthenen (r.) waren eine von vielen Volksgruppen.(c) Archiv Seemann/Brandstaetter Images/picturedesk.com
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Im damals österreichischen Galizien wurden die ersten Grammatiken des Ukrainischen verfasst – der von den Ruthenen der Donaumonarchie gesprochenen Volkssprache. Michael Moser erforscht diese Quellen und ihren Wien-Bezug.

Zum argumentativen Repertoire der Kreml-Kriegsführung zählt das von Putin verbreitete Diktum, die ukrainische Sprache sei lediglich „ein durch das Polnische verdorbener Dialekt des Russischen“ – eine These, die von Sprachwissenschaftlern nur als absurd bezeichnet werden kann und ausreichend widerlegt wurde. Inzwischen hat sich die Tatsache, dass das Ukrainische eine voll ausgebildete, eigenständige Sprache ist, im Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit verankert.

Weniger bekannt ist, dass die frühesten Grammatiken dieser Sprache beziehungsweise ihrer Vorform – des Ruthenischen – in der Habsburger-Monarchie verfasst wurden. Rund vier Millionen Ruthenen, die bis Ende des 18. Jahrhunderts dem Königreich Polen-Litauen angehört hatten, fanden sich nach den Polnischen Teilungen im Vielvölkerstaat Österreich wieder, circa zwanzig Millionen Ukrainer im Russischen Zarenreich.

„Völkerkerker“ als Nährboden

Die Ruthenen des damaligen Habsburger-Reichs waren vor allem im östlichen Galizien mit Lemberg als blühendem Zentrum angesiedelt. Vorwiegend hochgebildete galizische Geistliche nahmen sich dort ab den 20er-Jahren des 19. Jahrhunderts der Aufgabe an, die ruthenische Volkssprache in eine schriftlich standardisierte Form zu gießen.

Mit den daraus entstandenen Grammatiken beschäftigt sich Michael Moser, Professor für slawische Sprachwissenschaft an der Universität Wien. Obwohl ohne jegliche Sehnsucht nach imperialen Zeiten, legt der Forscher auf eine Feststellung Wert: „Die politischen Umstände im sogenannten Völkerkerker Österreich-Ungarn waren so günstig für die Entwicklung des Ukrainischen, dass der Anteil, den die Galizier am Ausbau der ukrainischen Sprache tragen konnten, kaum zu überschätzen ist.“ In der Tat verfügten die österreichischen Ruthenen über eigene Schulen, eigene Abgeordnete und mit dem Wiener Barbareum sogar über ein eigenes Priesterseminar zur Ausbildung von Geistlichen der unierten Kirchengemeinde; dies im Gegensatz zum Russischen Imperium, in dem das Ukrainische unterdrückt und ab 1863 verboten wurde.

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