Kühe „grasen“ im  Vordergrund der  Dolomiten auf einer Sanddünenlandschaft.
Buchneuerscheinung

Per Graphic Novel zurück in die Zukunft

Kühe weiden im Sand, Blumen werden per Drohne bestäubt, und Taucher schwimmen zwischen Atommüll: Michaela Konrad zeichnet alte und neue Zukunftsvisionen nach.

„Vielleicht ist diese Welt eines anderen Planeten Hölle“, ist nur eine der geistreichen Wendungen, mit der der englische Schriftsteller Aldous Huxley Mitte des vergangenen Jahrhunderts hausieren ging. 1932 veröffentlichte er seinen dystopischen Roman „Schöne neue Welt“ („Brave New World“ im Original), in dem er eine Gesellschaft im Jahr 2540 skizziert, die in Kasten organisiert wird, Kinder in künstlichen Gebärmüttern züchtet, menschlichen Bindungen abgeschworen hat und seine Bürgerinnen und Bürger mit der Glücksdroge Soma bei Laune hält.

30 Jahre später erscheint Huxleys Buch „Brave New World Revisited“, in dem er zum Schluss kommt, dass viele seiner Vorhersagen, die er für 2540 getroffen hatte, bereits in absehbarer Zeit eintreffen könnten, der technologische Fortschritt also an ungeahnter Geschwindigkeit zunimmt. Michaela Konrad ist mit 22 Jahren auf das Buch gestoßen und fand darin Inspiration für ein Jahre umspannendes Kunstprojekt, das im Juni in einem Buch münden wird.

Roboterbienen übernehmen nach dem Bienensterben die Bestäubung.
Roboterbienen übernehmen nach dem Bienensterben die Bestäubung.Michaela Konrad

Die bildende Künstlerin, heute 49 Jahre alt, widmet sich in ihrem Studio in Margareten gleich bei der Wienzeile der Malerei und Offset-Lithografie. Visuell orientieren sich die entstehenden Werke an Midcentury-Comics, Vintage-Game-Design und Science- Fiction-Pulp-Magazinen, was bereits in das Thema der Bilderserie spielt.

Perspektivenwechsel

„Ich war immer schon fasziniert von Science Fiction in der Populärkultur, und vieles von dem, was vor einigen Jahrzehnten noch als Science Fiction galt, ist heute für uns Alltag“, sagt Künstlerin Konrad. Für ihre Arbeit hat sie sich mit den verschiedensten Texten aus Populärkultur und Philosophie der vergangenen 70 Jahre beschäftigt. „Die Recherche hat diesmal mehr Zeit als das Zeichnen in Anspruch genommen“, so Konrad. Im ersten Teil ihres Projektes, „Can this be Tomorrow?“, versetzt die ursprünglich aus Graz stammende Künstlerin Rezipienten in die 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts und stellt mit fiktiven Comic-Covers einige der dystopischen Visionen von Vordenkerinnen und Autoren wie Aldous Huxley, Mary Shelley, George Orwell oder Philip K. Dick visuell dar.

Eine betagte Frau mit weißem Haar steht schwanger am Kinderwagen, zwei Tiefseetaucher schwimmen zwischen Atommüllbehältern über einem toten Korallenriff, ein junges wohlhabendes Paar steht im Labor eines Wissenschaftlers und wählt Haar- und Augenfarbe sowie Intelligenzwerte der eigenen Nachkommen aus: Das sind einige der Szenen, die schon Kunstschaffende des vergangenen Jahrhunderts in der Zukunft vermuteten und die in gewisser Weise nicht an Aktualität eingebüßt haben. „Ich finde gerade diesen Perspektivenwechsel hin zu damaligen Zukunftsvisionen interessant. Er lässt mich die Welt, in der wir heute leben, ein wenig klarer sehen“, sagt Konrad.

Über dem  Atommüll schwimmen die Taucher am toten Korallenriff.
Über dem Atommüll schwimmen die Taucher am toten Korallenriff.Michaela Konrad

Im zweiten Teil, „Pictures of Tomorrow“, beschäftigt sich die Künstlerin mit der Frage, in welche Richtung die technologische Revolution unsere Gesellschaft in den nächsten Jahrzehnten lenken wird. Dabei übt sie implizit Gesellschaftskritik an Umweltverschmutzung, verminderten Menschen- und Arbeiterinnenrechten, der Annährerung von Staaten und transnationalen Konzernen und einer Verlagerung des gesellschaftlichen Lebens in virtuelle Räume. In ihren Lithografien lässt sie Bienenroboter Blumen bestäuben, Kühe in einer Sandwüste vor den Dolomiten „weiden“, einen Laws-Roboter („Leathal Autonomous Weapons“) ein Boot voller Flüchtlinge im Mittelmeer empfangen.

„Schon Stefan Zweig hat in den Raum gestellt, dass die moralische Entwicklung des Menschen mit dem technologischen Fortschritt nicht mithalten kann. Bertrand Russell wiederum hielt neue Technologie nur dann für wünschenswert, wenn es keine Kriege mehr gibt“, sagt Konrad. Begleitet werden die Zeichnungen deshalb jeweils von Essays, die das Thema vertiefen und auf bekannte Philosophen und Autorinnen verweisen. Ganz so kulturpessimistisch, wie ihre Arbeit suggeriert, ist die Künstlerin aber dann doch nicht: „Technologie ist immer nur so gut oder schlecht, wie der Mensch, der sie bedient.“

Adam und Eva halten ihre Dates mittlerweile im virtuellen Raum ab.
Adam und Eva halten ihre Dates mittlerweile im virtuellen Raum ab.Michaela Konrad

Zusammengefasst wird ihre Sammlung von Lithografien im Juni im Luftschaft Verlag erscheinen. Begleitend werden ihre Arbeiten sowohl in Graz im Artelier Contemporary sowie in der Galerie Lisi Hämmerle in Bregenz gezeigt, und Bildeditionen werden auf der Parallel Editions im September zu erstehen sein.

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