Afghanistan

Zurück ins Zeitalter religiöser Blindwütigkeit

Unterdrückt, erniedrigt, ausgegrenzt: zwei afghanische Frauen in einem Vorort von Kabul
Unterdrückt, erniedrigt, ausgegrenzt: zwei afghanische Frauen in einem Vorort von KabulREUTERS
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Neun Monate nach ihrer Rückkehr an die Macht traktieren die Taliban erneut Frauen, Minderheiten und politische Widersacher.

Afghanistan-Kenner haben nichts anderes erwartet: Seit der Rückkehr der radikalislamischen Taliban an die Macht im August 2021 versinkt das 40-Millionen-Einwohner-Land erneut in einer giftigen Mixtur aus Unterdrückung, Armut, Hunger und Chaos. Der Eifer der sunnitischen Fanatiker richtet sich vor allem gegen Frauen, religiöse Minderheiten und politische Gegner.

Längst wird in verschiedenen Landesteilen wieder gekämpft, gehungert, gestorben. Wer kann, versucht über die wenigen noch verbliebenen Fluchtwege aus dem Land zu kommen. „Spiegel“-Reporter Christoph Reuter begegnete an der afghanisch-iranischen Grenze Tausenden fluchtwilligen Bauern, Ingenieuren, Beamten, ganzen Familien mit Kindern, die versuchten, mithilfe von Schleppern in den Iran zu gelangen. „Wir haben keine Wirtschaft mehr, keine Jobs, keine Gehälter“, lautete ihr Fluchtmotiv. Sie kann auch nicht abhalten, dass viele von ihnen in Leichensäcken aus dem Iran zurückkehren.


Der US-Generalinspektor für den Wiederaufbau in Afghanistan, John Sopko, fasst in einem vor einer Woche veröffentlichten Bericht die Gründe für die blitzartige Rückkehr der Taliban an die Macht vor neun Monaten zusammen:

Das Abkommen der US-Regierung von Donald Trump mit den Taliban, das von Nachfolger Joe Biden dann implementiert wurde, sei der Todesstoß für die prowestliche Regierung in Kabul gewesen, heißt es da. Dieses Abkommen habe das Misstrauen und das Chaos in einer ohnedies schon demoralisierten afghanischen Armee noch vergrößert. Niedrige Gehälter sowie schlechte Logistik, die zu Lebensmittel-, Wasser- und Munitionsknappheit führte, dazu korrupte Kommandeure ließen die Kampfmoral der Regierungssoldaten verfallen. Präsident Ashraf Ghani hatte in erster Linie loyale, unterwürfige Offiziere in Spitzenpositionen befördert, während er junge, talentierte, ehrgeizige Militärs niederhielt. Eine schlüssige Sicherheitsstrategie für das Land nach einem Abzug der Nato-Truppen ließ Ghani nie ausarbeiten, deshalb gab es auch nicht die entsprechenden Vorbereitungen.

Also konnte nicht verwundern, dass sich die afghanische Armee rasant in Luft auflöste, als die Nato im vergangenen Sommer mit dem Abzug Ernst machte, die Taliban auf Kabul vorrückten und Ghani schnurstracks das Weite suchte. Viele Distrikte und Provinzen konnten die Taliban nach Verhandlungen mit den entmutigten regionalen Regierungsvertretern kampflos übernehmen.

Die Implosion einer Staatsführung erfolgte, nachdem die USA in 20 Jahren 146 Milliarden Dollar ausgegeben hatten, um Afghanistan nach der Vertreibung der Taliban 2001 wieder auf die Beine zu helfen; davon waren 90 Milliarden in den Aufbau einer 300.000 Mann starken Streitmacht geflossen. Laut dem Bericht von Generalinspektor Sopko fielen den Kämpfen seit 2002 66.000 afghanische Soldaten und 48.000 Zivilisten (unterer Schätzwert) sowie 2443 amerikanische und 1144 verbündete Soldaten zum Opfer.

Nur, wofür all diese vielen Opfer, wofür die vielen Milliarden Dollar an Hilfe für Afghanistan nicht nur aus den USA, wenn die Taliban jetzt dort weitermachen, wo sie nach ihren ersten fünf Herrschaftsjahren (1996–2001) wegen der westlichen Militärintervention hatten aufhören müssen?

Gut, bis jetzt haben die Taliban – wie im Abkommen mit der Trump-Regierung vereinbart – dafür gesorgt, dass nicht erneut ein terroristischer Anschlag von afghanischem Territorium aus erfolgt ist. Aber das könnte sich schon bald ändern.

Im vergangenen Sommer noch beteuerten Taliban-Vertreter gegenüber westlichen Medien, dass sie sich gewandelt hätten, dass sie Frauen, Minderheiten, Widersachern mit größerer Toleranz begegnen würden als während ihrer ersten Regierungsperiode. Alles Lüge, alles Täuschung, alles Schwindel. Schritt für Schritt führen sie das Land zurück in ein dunkles Zeitalter religiöser Blindwütigkeit und politischer Knechtschaft.

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