Konzerthaus

Mäkelä zeigt: Wir haben Sibelius vernachlässigt

Umjubeltes Wien-Debüt des Dirigenten im Konzerthaus.

Chefdirigenten für Spitzenorchester sind gerade Mangelware. In Chicago, München, New York, Amsterdam und nun auch in Wien sucht man neue Chefs. Es brodelt in der Gerüchteküche. Einer, der angeblich fast überall auf der Wunschliste steht, ist der gefeierte Finne Klaus Mäkelä. Es gibt nur einen Haken: Der 25-jährige Jungstar beteuert, seinen zwei Orchestern treu zu bleiben. Beim Orchestre de Paris hat er gerade angefangen, beim Oslo Philharmonic ist er auch erst seit 2020. Jetzt hat er mit seinen Norwegern endlich sein Dirigierdebüt in Wien gefeiert, nachdem sein Auftritt mit den Symphonikern im Dezember dem Lockdown zum Opfer gefallen ist. Sosehr die geschlossenen Kulturstätten das Publikum schmerzten: Das Musikleben ging hinter geschlossenen Türen weiter. Mäkelä probte mit seinen Osloern besonders intensiv für die Aufnahme aller Sinfonien von Sibelius. Das Ergebnis präsentiert er nun an drei nacheinander folgenden Abenden im Konzerthaus.

Los ging es am Samstag mit der ersten Sinfonie – tanzend-energisch, ganz im Dirigierstil Mäkeläs. Er scheute das Fortissimo nicht und trieb sein Orchester zu einer fulminanten Deutung. Besonders der letzte Satz erinnerte an Tschaikowskis „Pathétique“ (die Mäkelä in der nächsten Saison im Konzerthaus dirigieren wird), eine wichtige Inspiration für den jungen Sibelius. Die Streicher sorgten mit klagenden Melodien über einem tiefen Orgelpunkt für jene Gänsehaut, die viele auch bei Tschaikowskis Finale erfasst. Mäkelä legte offensichtlich viel Energie in diese Interpretation: Er drehte sich für den starken Pausenapplaus schweißgebadet um, mit schiefer Fliege und glücklichem Gesichtsausdruck.

Erst die Zugabe war ein Ruhepol

Die sechste Sinfonie assoziierte der naturaffine Sibelius selbst mit dem „Duft des ersten Schnees“. Entsprechend ruhiger ging die zweite Hälfte des Konzerts los. In Erinnerung blieben eher der fiebrig pulsierende dritte Satz und die Klangwellen des Finales. Mäkelä lagen Feinheiten weniger am Herzen, auch in der abschließenden Siebten sparte er nicht mit dem reichen Osloer Orchesterklang. Ein Ruhepol war erst das mit gedämpften Streichern besonders fein gespielte Stück „Valse triste“, die Zugabe nach viel Jubel.

Keine der sieben Sibelius-Sinfonien wurde im Konzerthaus öfter als 20-mal aufgeführt, die Sechste gar erst zweimal. Nach diesem bewegenden Abend wurde klar: Wir vernachlässigen einen der großen Sinfoniker des 20. Jahrhunderts.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2022)

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