Ein riesiger Sprung für einen Papst

Mit seiner Billigung der Verwendung von Kondomen im Rahmen der Aids-Prävention hat Papst Benedikt XVI. auch die bisherige strikte Verbotsdoktrin Roms außer Kraft gesetzt.

Was die meisten Moraltheologen und etliche Bischöfe schon lange vertreten haben, wird jetzt auch von BenediktXVI. gebilligt: die Verwendung von Kondomen im Rahmen einer umfassenden Strategie zur Prävention von HIV-Infektion und Aids.

Als ich die päpstliche Kondom-Aussage aus dem Radio erfuhr, überhörte ich, dass Papst Benedikt das eher ungewöhnliche Beispiel eines männlichen Prostituierten verwendete, nicht das einer weiblichen. Dieser Hörfehler hatte wohl damit zu tun, dass ich noch Kevin Dowling im Ohr hatte, den 66-jährigen Bischof der südafrikanischen Diözese Rustenburg, der im Mai in Straßburg zu einem der beiden Kopräsidenten der katholischen Friedensbewegung Pax Christi gewählt wurde.

Dowling berichtete damals über die Aids-Kliniken seiner Diözese. Er erzählte von ledigen Müttern mit Kindern, die den Arbeitern der nahe Rustenburg gelegenen Plutonium-Mine käuflichen Sex anbieten, um sich und ihren Kindern das Überleben zu ermöglichen („survival sex“). Kevin Dowling zeigte sich davon überzeugt, dass die Anwendung von Kondomen in solchen und ähnlichen Situationen moralisch durchaus vertretbar sei.

Was Papst Benedikt in seinem Gespräch mit Peter Seewald über die Verwendung von Kondomen sagt, stimmt mit der Auffassung Bischof Kevins weitgehend überein – nur betrachtet der Papst die Verwendung von Kondomen nicht als „wirkliche und moralische Lösung“ für die Aids-Problematik.

Ein Stück Verantwortung

Er stellt aber ebenso klar, dass es „begründete Einzelfälle“ für den Gebrauch eines Kondoms geben mag, „etwa wenn ein Prostituierter ein Kondom verwendet, wo dies ein erster Schritt zu einer Moralisierung sein kann, ein erstes Stück Verantwortung.“ Warum der Papst von einem männlichen Prostituierten spricht, weiß niemand außer ihm. Die Angst davor, die Frage der Aids-Prävention mit der Frage der künstlichen Empfängnisverhütung zu vermischen? Die Annahme, dass Aids primär ein Problem schwuler Männer sei? Die ständige Konfrontation mit der Tatsache, dass Homosexualität und Bruch des Zölibats in klerikalen Kreisen keine Seltenheit darstellen?

Wie auch immer: Vatikansprecher Federico Lombardi hat klargestellt, dass ihm der Papst auf seine Rückfrage hin versichert habe, die ethisch bisweilen zu billigende Kondomverwendung gelte „für eine Frau, einen Mann oder einen Transsexuellen“. „Sie sei“, erläuterte Lombardi weiter, „ein erster Schritt zur Übernahme von Verantwortung für das Leben eines anderen Menschen, mit dem man in Beziehung steht und den man einem hohen Risiko aussetzt.“ Die Kondom-Aussage des Papstes ist nur ein kleiner Schritt für die meisten theologischen Ethiker – für einen Papst jedoch ist sie ein riesiger Sprung.

Ein Stoppschild für die Kurie

Mit dem Bekenntnis, dass ihre Verwendung im einen oder anderen Fall ein erster Schritt in die richtige Richtung sein könne, hat BenediktXVI. Kondomen nicht nur eine gewisse Wirksamkeit attestiert, sondern auch die bisherige strikte Verbotsdoktrin Roms außer Kraft gesetzt. Die römische Kurie hat nun kein Recht mehr, Priester, Bischöfe und Theologen, die die Verwendung von Kondomen zur Aids-Prävention für gerechtfertigt oder geboten halten, zu ignorieren oder gar zu zensurieren.

Kurt Remele ist ao. Universitätsprofessor für Ethik und christliche Gesellschaftslehre in Graz und Vizepräsident der katholischen Friedensbewegung Pax Christi Österreich.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.11.2010)

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