Literatur

Georgi Gospodinov: Das Ende der Welt kommt später

Georgi Gospodinov
Georgi Gospodinovimago/Insidefoto
  • Drucken

Wenn das Prädikat „europäischer Roman“ überhaupt einen Sinn hat – auf Georgi Gospodinovs „Zeitzuflucht“ trifft es zu. Der Ich-Erzähler Gaustín flaniert durch Wien und fühlt sich zu den Obdachlosen hingezogen – er ist selbst ein Obdachloser in der Zeit. Grandiose Unterhaltung mit Aktivierung von Herz und Hirn.

Seit zwei Jahrzehnten kennt man Georgi Gospodinov als einen, der mit allen Wassern der (postmodernen) Erzählkunst gewaschen ist, mit realen und imaginären Elementen zu spielen weiß und sich hervorragend auf die Verschränkung verschiedener Zeitebenen versteht. Als Spiegelfigur des Ich-Erzählers hat er Gaustín erfunden, der unter der Tarnkappe dieses Namens durch etliche seiner Bücher geistert. Mit diesem Instrumentarium ist Georgi Gospodinov hervorragend ausgerüstet für das Thema seines neuen Romans, „Zeitzuflucht“: die Demenz.

Gaustín flaniert durch Wien und fühlt sich in Liebe und Furcht hingezogen zu den Obdachlosen, weil er selbst ein Obdachloser in der Zeit und grundsätzlich „unzugehörig“ ist. Von seinen Berufen praktiziert er gerade den des Alterspsychiaters und hat damit Erfolg, dass er eine Klinik für Demenzkranke in den Stilen verschiedener Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts einrichtet und so die Erinnerung seiner Patienten zu aktivieren vermag. Gaustín, „den ich mir zuerst ausdachte und später in Fleisch und Blut traf“, will den griechischen Philosophen Heraklit widerlegen: „Dass niemand zweimal in dieselbe Geschichte steigen kann, stimmt nicht. Es geht. Das werden wir machen.“

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.