Leitartikel

Putin freut sich über jeden Anruf

Russian President Putin attends the Supreme Eurasian Economic Council via video link in Moscow
Russian President Putin attends the Supreme Eurasian Economic Council via video link in Moscowvia REUTERS
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Bundeskanzler Nehammer soll ruhig mit dem russischen Präsidenten telefonieren. Nur erwarten darf er sich außer ein paar innenpolitischen Pünktchen nichts von derlei Neutralitätsposen.

Wladimir Putin freut sich dieser Tage wahrscheinlich über jeden europäischen Politiker, der ihn in Moskau besucht oder mit dem er am Telefon spielen kann. So kann der Kreml-Kriegsherr sich selbst und seinen Landsleuten vormachen, dass Russland ja letztlich doch nicht ganz so isoliert sei. Eine Freude hatte er sicherlich auch mit dem Anruf des österreichischen Bundeskanzlers.

Es wäre unfair, Karl Nehammer unlautere Motive zu unterstellen. Er ist zweifellos überzeugt davon, dass es wichtig ist, einen Gesprächskanal zu Putin offenzuhalten und sich zumindest um kleine Fortschritte zu bemühen, beim Austausch von Kriegsgefangenen etwa. Doch wundersame Durchbrüche sind leider nicht zu erwarten. Österreichs Kanzler nimmt im gegenwärtigen geopolitischen Drama eine dermaßen irrelevante Rolle ein, dass er keinen großen Schaden anrichten kann. Das eröffnet Freiräume. Der Nutzen solcher diplomatischen Einlagen bewegt sich allerdings im mikroskopischen Bereich. Punkten will Nehammer damit vermutlich ohnehin vor allem innenpolitisch. Sonst hätte er sich nicht gleich im Anschluss an sein Telefonat mit Putin in einer Pressekonferenz in Szene gesetzt.


In mythische Welten glitt der ÖVP-Chef ab, als er seine Gespräche mit den Präsidenten Russlands und der Ukraine zur „aktiven Neutralitätspolitik“ überhöhte. Mag sein, dass ihm das manche mit einem wohligen Gefühl im Bauch abkaufen. Doch zuletzt haben auch Italiens Premier Draghi, Deutschlands Kanzler Scholz und Frankreichs Präsident Macron ähnliche fernmündliche Runden gedreht. Alle drei Staaten gehören der Nato an. Mit Österreich eint sie lediglich ein traditionelles Naheverhältnis zu Moskau.

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