100 Rätsel der Kommunikation, Folge 3. Kurz, kurz, lang. Jetzt spricht die Hupe. Dabei war die Straße auch einmal ein Ort des elaborierten Gesprächs.
Die Straße ist ein Ort der Komunikation. So stellt sich das der kleine Stadtplaner vor, der sich über sein Bilderbuch beugt. Das letzte lange Gespräch, das an einer Gürtel-Kreuzung in Wien geführt wurde, ist lange her. Damals war der Gürtel wahrscheinlich noch Linienwall. Und damals war die Straße alles, was man später in Häuser und unter Dächern in Sicherheit gebracht hat, als die Autos einrollten. Die Straße war Werkstatt, Verkaufslokal und – Rederaum. Heute ist der Gehsteig, so hat es die Straßenverkehrsordnung festgelegt, ein Verkehrsraum.
Weitergehen, weitergehen, hier gibt es nichts zu sehen. Da sprechen eher die Ellbögen, wenn man sich aneinader vorbeiquetscht. Die Menschen auf den Gehsteigen „reden“ mit Menschen, die gerade auf ganz anderen Gehsteigen der Stadt unterwegs sind. Zeit und Platz für großen Gefühlsaustausch bleibt auf der Straße. Vor allem nicht im Auto. So von Cabrio zu Cabrio könnte man sich schon ganz gut Luft machen, wenn man wieder feststellen muss, dass einem die Straße nicht allein gehört und die anderen Mitbenützer allesmögliche nicht so gut beherrschen wie man selbst. Autofahren, einparken, Abstände einhalten etc. Vor allem im Verkehr hat man ja oft ganz starke Gefühle, die man teilen will. Weil Gefühle teilen, das ist ja einer der Hauptmotive für Kommunikation überhaupt, meint auch die Psychologie.
Laut und trotzdem ungehört
Nur: Das Vokabular dafür fällt im Straßenraum ein wenig dürftig aus. An der illusionären ruhigen Bilderbuch-Straßenecke, an der leise die Fahrradfahrer gemählich vorbeirollen, während die Fußgänger ihre Semmel-Baumwollsackerl genauso ruhig nach Hause tragen und der Briefträger freundlich grüßt, da hätte man alles, was man braucht. Das Ohr und das Gesicht des Gesprächspartners. Man könnte selbst mit den Augen rollen, die Nase rümpfen, die Augenbrauen hochziehen, tief seufzen und sich auf die Lippen beißen, wenn’s gerade passt. Schon würde man sich verstanden fühlen. Weil man wüsste: die Botschaft kommt an. Das Gesicht des anderen zeigt, dass sie angekommen ist. In digitalen „Rederäumen“ geht’s schon etwas undifferenzierter zu. Auch mangels Gesichter. Den Ärger loswerden? Schwierig, während man das passende Emoji sucht, das fuchsteufelswilde, oder das, bei dem der Dampf aus der Nase faucht. Auch Rufzeichen und Großbuchstaben helfen nicht. Sicherheitshalber macht man trotzdem noch drei Rufzeichen dazu. Denn das ist ja wirklich ärgerlich!!!!!!!! Doch das tiefe Gefühl, genauso wie die Zwischentöne, bleibt in der digitalen Kommunikation stumm.
Nur im Auto bleibt man sprachloser. Schuld ist die Autoindustrie, die völlig darauf vergessen hat, aus dem Auto ein Medium zu machen. In gewisser Weise ist es das ohnehin. Von wegen: SUV bedeutet „Niemand ist wichtiger auf der Straße als ich“. Doch das sonstige Zeicheninventar bleibt klein: Hup, Hup, Huphup. Kurz, kurz, lang, laaaang, der steht noch immer da, laaaaaang. Hupen kann viel bedeuten. He, ich fahr gerade an Dir vorbei und du siehst mich nicht. Oder: Tu das nie wieder. Interaktion zwischen Autos darf nicht nur bedeuten: Rummss in die Stoßstange. Oder eine simple Feed-Back-Schleife wie: Sender-Empfänger-Zurücksender-Empfänger. Also etwa Scheibenwischer (die Geste) bei einem löst Mittelfinger beim anderen aus, löst wiederrum Mittelfinger beim einen aus. Gut wäre ein LED-Display à la Polizei, auf dem man ein wenig elaborierter bellen kann. Sonst verpufft der schöne Ärger ja schon an den getönten Scheiben. Ein Display, auf dem man zumindest Emojis mit Teufelshörnern zeigen kann, oder im Bedarfsfall ein Affenemoji oder Schlimmeres. Mit Hupen allein fühlt man sich völlig unverstanden. Man fühlt sich fast wie beim What's App-Schreiben.