Migration als Armutsrisiko

(c) Michaela Bruckberger
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Migranten sind stärker gefährdet, in finanzielle Schieflage zu geraten. Weil sie am Arbeitsmarkt in den unteren Segmenten arbeiten, und mehr Kinder haben. Gemessen wird anhand des Haushaltseinkommens.

Wien. Die Armut von Kindern und Jugendlichen in Österreich wird nicht ausreichend untersucht. Das sagt Soziologin Ursula Till-Tentschert. An der Universität Wien und bei ihrer Tätigkeit für die Statistik Austria hat sie sich diesem Thema gewidmet. Und erst seit Kurzem, so meint sie, gebe es überhaupt Zahlenmaterial dazu.

Gemessen wird die Armutsgefährdung anhand des Haushaltseinkommens. In Österreich haben rund eine Million Menschen weniger als 60 Prozent des mittleren Haushaltseinkommens zur Verfügung und sind daher armutsgefährdet. Migranten machen hier einen hohen Anteil aus. Jede vierte Person mit Migrationshintergrund lebt in Armutsgefährdung. Migration sei somit einer der größten Risikofaktoren für Armut.

„Nicht weil sie einen Migrationshintergrund haben, sind diese Leute arm, sondern weil Migranten meist in die unteren Segmente des Arbeitsmarktes eingegliedert werden“, sagt Martin Schenk. Der Psychologe und Sozialexperte der Diakonie Österreich beschäftigt sich schon lange mit Armut. Als Leiharbeiter, Dienstleister ohne Kollektivvertrag oder Saisonarbeiter werden viele Migranten beschäftigt: „Die Betroffenen – egal ob mit oder ohne Staatsbürgerschaft – arbeiten in prekären Arbeitsverhältnissen.“ Das bedeute schlechtere Arbeitsbedingungen, geringere Löhne und weniger soziale Sicherheit. Der schlechte Zugang für Migranten zum Wohnungsmarkt und damit verbundene höhere Mietpreise würden sich ebenfalls auswirken. Als Mitbegründer der Armutskonferenz, einem Zusammenschluss von Sozialinitiativen, kirchlichen und gewerkschaftlichen Organisationen, Bildungs- und Forschungseinrichtungen, weiß Schenk: „Kinder von Migranten sind in besonderer Weise betroffen.“

Mehr Kinder, weniger Teilhabe

Laut Statistik Austria sind etwa 260.000 Kinder und Jugendliche akut armutsgefährdet. Jedes dritte armutsgefährdete Kind unter 19 Jahren hat einen Migrationshintergrund. Das geht aus einem Forschungsbericht von Ursula Till-Tenschert und Irina Vana vom Institut für Soziologie der Universität Wien hervor. Hinzu komme, dass Familien mit Migrationshintergrund oft kinderreicher seien. Aus der Armut würden für die betroffenen Kinder automatisch geringere Teilhabe- und Verwirklichungschancen resultieren. Till-Tentschert: „Von 100 armutsgefährdeten Kindern und Jugendlichen bis 27 geben 35 Prozent an, dass sie sich nicht leisten können, Freunde und Bekannte einzuladen.“

In der nicht-armutsgefährdeten Gruppe geben das nur neun Prozent an. Das Gratiskindergartenjahr, die 13. Familienbeihilfe oder Mehrkinderzuschläge bei der Familienbeihilfe – alle diese Maßnahmen hätten geholfen, die Zahlen hinsichtlich der Armutsgefährdung relativ konstant zu halten. Nicht absehbar sei jedoch, wie sich die Budgetpläne der Regierung auswirken. Wenn die Familienbeihilfe für arbeitssuchende Jugendliche wie geplant gestrichen werde, glaubt Schenk, komme es mit Sicherheit zu einer Verschlechterung.

Auf einen Blick

Studie: Ursula Till-Tenschert und Irina Vana vom Institut für Soziologie der Universität Wien haben sich dem Thema Migration und Armut gewidmet: „In Armut aufwachsen. Empirische Befunde zu Armutslagen von Kindern und Jugendlichen in Österreich.“ Wien, 2009.

Konferenz: Die Armutskonferenz bietet Informationen über konkrete Armutsgefährdung.

WEITERE INFORMATIONEN UNTER

www.armutskonferenz.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2010)

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